Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenrente. Anrechnung von Einkommen. Wesentliche Änderung der Verhältnisse. Ermessen. Atypischer Fall
Leitsatz (redaktionell)
Liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X vor, hat die Behörde Ermessen nur auszuüben, wenn es sich um einen atypischen Fall handelt.
Normenkette
SGB I § 60; SGB VI § 97; SGB X § 45 Abs. 3-4, § 48 Abs. 1, 4
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Aktenzeichen S 6 RA 2003/04) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Rückzahlung überzahlter Witwenrente für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 28. Februar 2003 in Höhe von 38.921,77 Euro.
Die Beklagte bewilligte der 1937 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 6. April 1993 ab 12. September 1992 eine große Witwenrente (Zahlbetrag ab 1. Juni 1993: 1.428,39 DM). Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass das Einkommen der Klägerin an der Hinterbliebenenrente anzurechnen sei und es wurde um Vorlage von Einkommensnachweisen gebeten. Die Klägerin hatte bei Rentenantragstellung angegeben, sie habe Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit durch den Betrieb einer „Negerkussfabrik”. Mit weiterem Bescheid vom 15. Juli 1994 bewilligte die Beklagte der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 24. November 1990. Mit weiteren Bescheiden vom 15. Juli 1994, 26. August 1994, 22. Februar 1996 und 2. Oktober 1996 erfolgten Neuberechnungen der Witwenrente. Die Klägerin wurde auf die gesetzliche Verpflichtung hingewiesen, der Beklagten das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen unverzüglich mitzuteilen. Der Widerspruch der Klägerin gegen den Neufeststellungsbescheid der Witwenrente vom 22. Februar 1996, mit dem aufgrund Einkommensanrechnung eine Rentenüberzahlung in Höhe von 6.687,80 DM für die Zeit vom 1. Oktober 1992 bis 31. März 1996 festgestellt worden war, hatte im wesentlichen Erfolg. Nach der ergänzenden Begründung zum Neufeststellungsbescheid vom 2. Oktober 1996 (Anlage 10) erfolgte die Neuberechnung ab 1/94, weil für das Jahr 1994 ein Verlust ausgewiesen worden war. Dazu hatte die Klägerin den Jahresabschluss ihrer Firma für 1994 und den Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr 1993 vorgelegt. Den weiteren Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. Oktober 1996 nahm die Klägerin mit Schreiben vom 11. März 1997 zurück.
Am 15. Mai 2002 bat die Beklagte die Klägerin um die Vorlage von Einkommensnachweisen, nachdem sie der Klägerin mit Bescheid vom 12. April 2002 Altersrente ab 1. April 2002 gewährt hatte. Nach Auswertung der von der Klägerin vorgelegten Einkommensteuerunterlagen der Jahre 1996 bis 2001 stellte die Beklagte die Witwenrente der Klägerin mit Bescheid vom 27. Januar 2003 mit einem Zahlbetrag ab 1. März 2003 in Höhe von 92,65 Euro neu fest. Zugleich wurde der Rentenbescheid vom 2. Oktober 1996 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung für die Zukunft ab 1. März 2003 nach § 48 SGB X aufgehoben. Nach Anhörung der Klägerin (Anhörungsschreiben vom 4. Februar 2003) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 14. April 2003 für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Mai 2003 eine Überzahlung in Höhe von 40.015,95 Euro fest und hob zugleich den Witwenrentenbescheid vom 2. Oktober 1996 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung vom 1. Juli 1998 bis 28. Februar 2003 nach § 48 SGB X auf; die entstandene Überzahlung sei von der Klägerin zu erstatten. Die im Rahmen der Anhörung vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, von der Bescheidaufhebung abzusehen. Auf ein Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheides könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie darüber informiert gewesen sei, dass die Feststellung des Rentenzahlbetrages der Hinterbliebenenrente einkommensabhängig sei. Ihrer gesetzlichen Mitteilungspflicht sei die Klägerin nicht nachgekommen.
Die Überzahlungssumme werde um eine Nachzahlung in Höhe von 355,38 Euro durch Verrechnung gemindert. Eine weitere Reduzierung um 763,92 Euro für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Mai 2003 nahm die Beklagte mit Schreiben vom 21. August 2003 vor. Die Überzahlung belief sich nunmehr auf 38.921,77 Euro.
Gegen den Bescheid vom 14. April 2003 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie erhob die Einrede der Entreicherung und machte Vertrauensschutz geltend. Sie sei in einem Zeitraum von mehr als sechs Jahren nicht mehr aufgefordert worden, Einkommensnachweise vorzulegen. Der generelle Hinweis im Bescheid vom 2. Oktober 1996 sei nicht ausreichend gewesen.
Mit Bescheid vom 16. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin sei im Rentenbescheid vom 6. April 1993 auf die Einkommensabhängigkeit ihrer Witwenrente hingewiesen worden und dieser Sachverhalt sei ihr auch aus dem in 1996 durchgeführten Widerspruchsverfahren bekannt gewesen. In der Folge sei versäumt worden, das jährliche Einkommen zu erfragen. Erst mit Bezug der eigenen Rente ab 1. April 2002 sei aufgefallen, dass seit 1996 keine Steuererklärungen zum Einkommensnachweis mehr vorgelegt worden seien. Anhand der nachgereichten Unterlagen habe sich ei...