Leitsatz (amtlich)
Nach § 558 Abs 1 RVO ist derjenige als hilflos anzusehen, der für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe bedarf. Eine Hilfsbedürftigkeit für einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebenslauf wiederholt vorgenommen werden, genügt nicht, um den Anspruch auf Pflege im Sinne von § 558 Abs 1 RVO zu begründen.
Verfahrensgang
SG Fulda (Urteil vom 19.10.1978; Aktenzeichen S-3b/U - 104/76) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 19. Oktober 1978 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Pflege gemäß § 558 der Reichsversicherungsordnung (RVO).
Der im Jahre 1926 geborene Kläger erlitt am 24. September 1951 einen landwirtschaftlichen Arbeitsunfall, bei dem es neben einer Blasen- und Harnröhrenverletzung auch zu Frakturen des Sitz und Schambeines beiderseits sowie zu einer Harnphysadventur kam. Wegen “erhöhter Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Verschlechterung der Hüftgelenksfunktion rechts, dadurch Verschlechterung des Gang-, Sitz- und Stehvermögens,” gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 5. September 1975 ab 1. Januar 1975 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 95 v.H., und mit Bescheid von 15. Januar 1976 für die Zeit ab 1. Juli 1977 nach einen MdE um 100 v.H.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 25. November 1976 hatte die Beklagte es abgelehnt, dem Kläger Pflege gemäß § 558 RVO zu gewähren, weil keine Pflegebedürftigkeit vorliege.
Gegen diesen, am 25. November 1976 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 1. Dezember 1976 Klage bei dem Sozialgericht Fulda (SG) erhoben.
Der Facharzt für Chirurgie Dr. U. F., hat unter dem 7. März 1977 dem SG mitgeteilt, der Kläger sei wegen der sicherschaften Versteifung der rechter Hüfte im täglichen Leben stark behindert und auf die Mithilfe anderer angewiesen. Insbesondere könne er seine Schuhe und Strümpfe nicht alleine anziehen. Das SG hat dazu von den Dres. K. und M., Chefarzt und Assistenzarzt der Orthopädischen Klinik K., ein fachorthopädisches Gutachten vom 30. Mai 1978 eingeholt. Darin haben die Gerichtssachverständigen folgende Gesundheitsstörungen des Klägers festgestellt:
1) Knöchern fest verheilte Fraktur des rechten und linken Scham- und Sitzbeines mit Beckendeformierung. Deutliche Coxarthrose der rechten Hüfte. Beginnende Coxarthrose der linken Hüfte. 2) Spondylose im Bereich der Lendenwirbelsäule und Brustwirbelsäule bei Osteochondrose L 5/S 1. Keine wesentlichen statischen Funktionsstörungen der Wirbelsäule. 3) Bedingt durch die Schonung der rechten unteren Extremität deutliche Muskelverschmächtigung des rechten Oberschenkels. 4) Beginnende degenerative Veränderungen im Bereich der rechten Schulter mit ungedeuteter Bewegungseinschränkung.
Sie vertreten die Ansicht, die Befunde und an der rechten Hüfte seien als erheblich zu bewerten. Die Leidenssituation werde jedoch durch die psychische Einstellung des Patienten erheblich aggraviert. Sie empfehlen eine endoprothetische Versorgung des rechten Hüftgelenkes. Eine Pflegebedürftigkeit hielten sie nicht für gegeben. Nach der endoprothetischen Versorgung sei eine solche gänzlich auszuschließen. Wann man den Beschwerdeangaben des Patienten eine gewisse Glaubwürdigkeit zugestehe, so sei er bis zur endoprothetischen Versorgung auf den Gebrauch von zwei Unterarmgehstützen angewiesen.
Mit Urteil vom 19. Oktober 1978 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. November 1976 verurteilt, dem Kläger vom 1. August 1975 an Pflegegeld zu zahlen; auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 21. Dezember 1978 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Januar 1979 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Im Berufungsverfahren ist von Dr. med. E., Oberarzt der Inneren Abteilung der Städtischen Kliniken F., ein fachinternistischer Befundbericht vom 12. April 1979 eingeholt worden, in dem die Frage verneint wird, ob der Kläger aus Krankheitsgründen so hilflos sei, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichen Umfang fremder Hilfe dauernd bedürfe. Sodann ist auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Leitenden Oberarzt der Orthopädischen Universitätsklinik T. Privatdozent Dr. med. G. ein fachorthopädisches Gutachten vom 21. September 1979 eingeholt worden. Darin vertritt dieser Gerichtssachverständige die Auffassung, die Teilversteifung des rechten Hüftgelenkes in einer funktionell ungünstigen Stellung sei neben einer leichten Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und des linken Hüftgelenkes geeignet, zu einer gewissen Hilflosigkeit beizutragen. Die Erkrankungen auf urologischen und fachinternistischem Gebiet seien zur Zeit soweit ...