Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Annahme derselben Angelegenheit bei der einem Rechtsanwalt für ein isoliertes Vorverfahren zu erstattenden Gebühren
Orientierungssatz
1. Nach § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Ein Rechtsanwalt kann die Gebühren nach § 15 Abs. 2 S. 1 RVG in derselben Angelegenheit grundsätzlich nur einmal fordern.
2. Dieselbe Angelegenheit i. S. von § 15 Abs. 2 S. 1 RVG ist in der Regel gegeben, wenn ein einheitlicher Auftrag, ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit und ein innerer Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gegenständen vorliegt.
3. Im Fall häuslicher Krankenpflege i. S. von § 37 SGB 5 kann sich die gesundheitliche Situation des Versicherten nahezu täglich verändern. Dies hat zur Folge, dass bei Ablehnung einer erneuten Verordnung für einen anderen Zeitraum auch von einer neuen Angelegenheit i. S. der §§ 15 ff. RVG auszugehen ist.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 20. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch im Berufungsverfahren 3/5 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der beklagten Krankenkasse zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren für ein isoliertes Vorverfahren.
Der querschnittgelähmte und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger litt unter einem Dekubitus im Bereich des Gesäßes.
Die Gemeinschaftspraxis Dr. C./D. verordnete am 2. August 2013 im Wege der häuslichen Krankenpflege eine Dekubitusbehandlung in Form täglicher Wundversorgung für den Zeitraum vom 3. August bis 17. August 2013. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 13. August 2013 die häusliche Krankenpflege mangels Plausibilität der Behandlungsfrequenz ab. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch mit anwaltlichem Schreiben vom 6. September 2013.
Die behandelnden Ärzte verordneten am 16. August 2013 erneut im Wege der häuslichen Krankenpflege für den Zeitraum vom 18. August bis 10. Oktober 2013 eine Dekubitusbehandlung in Form täglicher Wundversorgung. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. August 2013 die Kostenübernahme auch dieser beantragten Dekubitusbehandlung ab. Auch hiergegen erhob der Kläger - mit inhaltlich gleichem anwaltlichem Schriftsatz wie vom 6. September 2013 - am 9. September 2013 Widerspruch.
Mit Schreiben vom 11. September 2013 teilte die Beklagte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass die Widersprüche gegen die Entscheidungen vom 13. August und vom 28. August 2013 "in direktem Zusammenhang bearbeitet" würden.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 20. Januar 2014 die Dekubitusbehandlung für die streitigen Zeiträume 3. August bis 17. August 2013 und 18. August bis 10. Oktober 2013. In einem Schreiben an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. Januar 2013 ergänzte die Beklagte hierzu:
"Unseren Bescheid vom 9. September 2013 heben wir auf; den Bescheid vom 27. August 2013 ändern wir insoweit und betrachten die Widerspruchsverfahren damit als erledigt."
Der Kläger machte mit zwei getrennten Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 13. Februar 2014 Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von jeweils 380,80 € für jeden Widerspruch geltend.
Die beiden Gebührenrechnungen gliederten sich im Einzelnen wie folgt auf:
|
Geschäftsgebühr § 14, Nr. 2302 Satz 1 VV RVG |
300,00 € |
Pauschale (Post/Telekommunikation) Nr. 7002 VV RVG |
20,00 € |
Zwischensumme netto |
320,00 € |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG |
60,80 € |
Gesamtbetrag |
380,80 € |
Mit Bescheid vom 27. Februar 2014 setzte die Beklagte die Rechtsanwaltsgebühren gemäß § 63 Abs. 3 SGB X auf insgesamt 380,80 € fest. Zur Begründung führte sie aus, die Widersprüche richteten sich gegen Leistungsablehnungen für die Verordnungen vom 2. August und vom 16. August 2013. Die Widerspruchsbegründungen seien inhaltlich und sogar textlich nahezu identisch und argumentativ vollständig deckungsgleich, so dass die Argumentation als eine Einheit zu werten sei. Daher könne in dem Verfahren die Gebühr nur für eine Angelegenheit geltend gemacht werden.
Hiergegen erhob der Kläger am 28. März 2014 Widerspruch und machte geltend, es handele sich bei den Widersprüchen vom 6. September 2013 und vom 9. September 2013 nicht um "dieselbe Angelegenheit". Es lägen zwei selbstständige Entscheidungen der Beklagten vor, gegen die jeweils Widerspruch zulässig gewesen sei. Wäre nicht gegen beide Bescheide Widerspruch erhoben worden, wäre jeweils ein Bescheid unabhängig vom anderen bestandskräftig geworden. Es handele sich daher um völlig eigenständige Angelegenheiten. Auch der Gegenstand der Anträge sei nicht derselbe gewesen. Mit beiden Anträgen seien zwar Leistungen der häuslichen Krankenpflege beantragt worden, jedoch hätten sie jeweils verschiedene Leistungszeiträume betroffen. Es handele sich nicht um einen wiederholenden Antrag derselben Leistung. J...