Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherung. Beitragspflicht. Abfindung einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Unterstützungskasse. Versorgungsbezüge. vor Eintritt des Versorgungsfalls gezahlte Kapitalleistung. Arbeitsentgelt
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Beitragspflichtigkeit der Abfindung einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 3. Februar 2015 abgeändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2012 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin die auf die Abfindung entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten und Arbeitslosenversicherung i.H.v. 1.506,18 € zu erstatten.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. September 2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Beitragspflicht hinsichtlich einer einmaligen Zahlung zur Abfindung einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung und über den Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge.
Die Klägerin ist aufgrund eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses mit der Beigeladenen zu 1 bei der Beklagten versicherungspflichtiges Mitglied. Bei der Beigeladenen zu 1 bestand eine Unterstützungskasse, die Unterstützungseinrichtung der Ärztlichen Verrechnungsstelle Büdingen e.V. und deren Tochterunternehmen e.V., bei der die Klägerin aufgrund von Leistungen der Beigeladenen zu 1 beginnend ab dem 1. August 1984 eine Versorgungsanwartschaft erlangte. Unter dem 18. Mai 2011 schlossen die Klägerin, die Beigeladene zu 1 und die Unterstützungseinrichtung der Ärztlichen Verrechnungsstelle Büdingen e.V. und deren Tochterunternehmen e.V. (Unterstützungskasse) die folgende Abfindungsvereinbarung:
"1. Zwischen der Gesellschaft (Beigeladene zu 1) und der Mitarbeiterin besteht ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis. Die Mitarbeiterin hat eine Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung nach der ihr von der Gesellschaft gemäß dem Leistungsplan der Unterstützungskasse erteilten Versorgungszusage vom 01.08.1984 bis heute erlangt (Versorgungsanwartschaft). Die Anwartschaft auf eine Altersrente bei Erreichen der Regelaltersgrenze beläuft sich zum 31.12.2010 auf monatlich 99,01 € (brutto).
2. Zwischen den Vertragspartnern besteht Einvernehmen darüber, dass die Mitarbeiterin auf die ihr und ihren Hinterbliebenen zustehende Versorgungsanwartschaft gegen Zahlung einer Abfindung verzichtet. Mit Inkrafttreten dieser Vereinbarung entfallen jegliche Anwartschaften und Ansprüche der Mitarbeiterin und ihrer Hinterbliebenen aus der in Ziffer 1 genannten Versorgungszusage, sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber der Unterstützungskasse.
3. Die Mitarbeiterin erhält von der Gesellschaft zur Abfindung der Versorgungsanwartschaft eine einmalige Kapitalzahlung in Höhe von 7.665,00 € (brutto).
Dieser Betrag entspricht dem nach Maßgabe von § 3 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 BetrAVG zum 31.12.2010 ermittelten versicherungsmathematischen Barwert der Anwartschaft auf die Hinterbliebenenversorgung. ( ...)
Der sich aus Ziffer 3 ergebende Abfindungsbetrag wird der Mitarbeiterin nach Abzug etwaiger Steuern und Abgaben, die die Mitarbeiterin zu tragen hat (vgl. Ziffer 4), im Monat Mai 2011 in einem Betrag ausgezahlt und auf das Bankkonto der Mitarbeiterin überwiesen.
4. Die auf die Abfindungszahlung entfallenden Abzüge (z.B. einzubehaltende Lohnsteuer und Sozialabgaben) trägt die Mitarbeiterin selbst. ( ...)"
Mit der Lohn-/Gehaltsabrechnung für Mai 2011 wurden von der Beigeladenen zu 1 auf die Abfindung als Einmalzahlung Gesamtsozialversicherungsbeiträge mit einem Arbeitnehmeranteil in Höhe von 1.580,91 € an die Beklagte als Einzugsstelle entrichtet.
Am 22. August 2011 wies die Klägerin die Beklagte hierauf hin, bat diesbezüglich um Überprüfung, da sie mit der Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht einverstanden sei und beantragte deren Erstattung. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 16. September 2011 mit, dass Abfindungen von Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung, die während eines laufenden Beschäftigungsverhältnisses gezahlt würden, im Allgemeinen zum beitragspflichtigen (einmalig gezahlten) Arbeitsentgelt gehörten. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt dieses Schreiben nicht. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 5. Oktober 2011 Widerspruch, an dessen Erledigung sie mit Schreiben vom 22. November 2011 erinnerte. Mit Bescheid vom 9. Dezember 2011 wies die Beklagte erneut darauf hin, dass es sich bei dem gezahlten Abfindungsbetrag um einen geldwerten Vorteil im Sinne eine...