Leitsatz (amtlich)
Eine Studentin, die sich während der Semesterferien am Universitätsort auf eine Prüfung vorbereitet, ohne dabei Universitätseinrichtungen zu benutzen, steht während einer Heimfahrt in die elterliche Wohnung nicht unter Versicherungsschutz.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1. Nr. 14, § 550 S. 3
Verfahrensgang
SG Fulda (Urteil vom 28.11.1972) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichtes Fulda vom 28. November 1972 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die … 1951 geborene Klägerin ist seit dem Wintersemester 1969 ordentliche Studierende der Philipps-Universität in M.. Sie bewohnt am Hochschulort ein möbliertes Zimmer, daß sie auch außerhalb der Semester angemietet hält und zeitweise benutzt. Ansonsten lebt sie im elterlichen Haushalt in S..
In den Semesterferien zwischen dem Sommersemester 1971 und dem Wintersemester 1971/1972 bereitete die Klägerin sich auf eine für die Zeit vom 4. bis zum 18. Oktober 1971 vorgesehene 4-tägige Vordiplomprüfung am Hochschulort vor. Vormittags lernte sie in ihrer Unterkunft; nachmittags erarbeitete sie den Prüfungsstoff mit einer Kommilitonin in deren gemietetem Zimmer durch gemeinschaftliche Abfragen. Hochschuleinrichtungen wurden hierzu nicht aufgesucht. Das Mittagessen nahm sie meistens in der nahegelegenen Mensa ein. Ansonsten verköstigte sie sich in ihrer Unterkunft.
Am Samstag, dem 11. September 1971, verunglückte die Klägerin auf einer Wochenendheimfahrt in die elterliche Wohnung. Sie erlitt hierbei eine Commotio cerebri, Schnittwunden im Gesicht, multiple Prellungen und Schürfwunden und einen Unterkieferbruch rechts mit Zahnschaden und mußte stationär behandelt werden.
Mit Bescheid vom 27. Januar 1972 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche wegen dieses Unfalles ab. Zur Begründung hieß es: Die Klägerin habe sich nicht auf einer versicherten Familienheimfahrt befunden. Sie sei auf dem Weg vom Hochschulort an ihren Heimatort nach einer dem privaten Lebensbereich zuzuordnenden Tätigkeit gewesen. Am Hochschulort habe sie sich nämlich nicht aus Anlaß einer versicherten Tätigkeit aufgehalten, sondern sich dort freiwillig ohne Teilnahme an einer Hochschulveranstaltung auf eine Vordiplomprüfung durch privates Lernen vorbereitet.
Gegen diesen am 28. Januar 1972 per Einschreiben abgesandten Bescheid hat die Klägerin am 22. Februar 1972 vor dem Sozialgericht Fulda Klage erhoben und vorgebracht: Sie sei auf einem versicherten Weg zwischen Hochschulort und Heimatort verunglückt. Der Versicherungsschutz erstrecke sich in Fällen der vorliegenden Art auf alle Tätigkeiten, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Besuch der Hochschule stünden. Der Aufenthalt in M. sei zur Vorbereitung der noch vor Beginn des Wintersemesters 1971/1972 angesetzten Vordiplomprüfung erforderlich gewesen, da sie zusammen mit ihrer Kommilitonin in einer Gruppe geprüft worden sei.
Das Sozialgericht hat das Studentenwerk M. als Träger der Studentischen Krankenversicherung beigeladen und am 28. November 1972 nach einer persönlichen Anhörung der Klägerin die Beklagte verurteilt, das Unfallereignis vom 11. September 1971 als Arbeitsunfall zu entschädigen. Es hat die unfallbringende Fahrt als versicherte Familienheimfahrt angesehen und u.a. ausgeführt: Zwischen dem Aufenthalt der Klägerin am Universitätsort und dem Studium an der Hochschule habe ein ursächlicher Zusammenhang bestanden. Die Klägerin habe sich nicht zufällig, sondern zum Zwecke der Vorbereitung auf eine Prüfung in M. aufgehalten. Die vom Grundgesetz auch dem Studierenden garantierte Freiheit von Forschung und Lehre ermögliche es ihm, im Gegensatz zu sonst im Arbeitsleben Tätigen im einzelnen das Studium in freier Verantwortlichkeit auszugestalten, wozu auch die Entscheidung über den Ort und die Art der Studien gehöre. In diesem Rahmen sei für die Annahme des Versicherungsschutzes maßgeblich, daß die Klägerin wegen einer noch in den Semesterferien beginnenden Prüfung hierzu Vorbereitungen am Studienort getroffen habe, wobei der gemeinsamen Arbeit in Prüfungsgruppen eine besondere Bedeutung zukomme.
Gegen das ihr am 12. Januar 1973 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 6. Februar 1973 Berufung eingelegt. Sie beruft sich auf ihr bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend: Die sozialgerichtliche Auffassung bedeute im Ergebnis eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Besserstellung der an Hochschulen Studierenden gegenüber anderen Lernenden. Das Sozialgericht sei mit seiner Entscheidung vom geltenden Grundsatz der Unternehmensbezogenheit abgewiesen und habe das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre mit der dem Studierenden allgemein eingeräumten Freizügigkeit verwechselt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Fulda vom 28. November 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt...