Entscheidungsstichwort (Thema)
Individueller und personenzentrierter Maßstab. Bedürftigkeit. Klageantrag. Grundurteil
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Kraftfahrzeughilfe nach den §§ 53 Abs 1 S 1, 54 Abs 1 S 1 SGB 12, 55 SGB 9, 8 Abs 1 BSHG§47V ist nur dann gegeben, wenn das Kraftfahrzeug zum Erreichen der Eingliederungsziele unentbehrlich ist.
2. Allein aus dem Wortlaut von § 8 Abs 1 S 2 BSHG§47V und § 53 Abs 3 S 2 SGB 12 kann die gesetzliche Offenheit möglicher Eingliederungsziele nicht überspielt werden, zumal bei der Bestimmung der Eingliederungsziele von einem individuellen und personenzentrierten Maßstab auszugehen ist.
Normenkette
SGB XII § 2 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 2, § 19 Abs. 3, § 53 Abs. 1 S. 1, § 54 Abs. 1 S. 1, § 85 Abs. 1; SGB IX a.F. § 55 Abs. 1 Nr. 7; EinglhVO § 8 Abs. 1; UN-BRK Art. 20; SGG § 130 Abs. 1 S. 1
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2016 abgeändert und unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 8. Juli 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2008 festgestellt, dass die Klägerin wegen Art und Schwere ihrer Behinderung auf die Nutzung eines noch zu beschaffenden Kraftfahrzeugs in Gestalt eines Kleinbusses mit Lifter oder Einfahrmöglichkeit zur Mitnahme eines Elektrorollstuhls angewiesen ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Klage und der Berufung zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für die Anschaffung und den Umbau eines Kraftfahrzeugs (Kleinbus) im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII).
Die 1969 geborene Klägerin ist seit einer unfallbedingt eingetretenen Lähmung beider Beine auf den Rollstuhl angewiesen. Darüber hinaus wurden eine dissoziative Bewegungsstörung der Beine (psychogene Parese), kombinierte Persönlichkeitsstörung, Depression, Schmerzen am Bewegungsapparat, Psoriasis, Hypothyreose, Harninkontinenz, Menopausenstörung und Transsexualität diagnostiziert. Der Grad der Behinderung wurde mit 100 sowie die Merkzeichen G, aG, H, RF und B festgestellt.
Sie erhielt zum Zeitpunkt der Antragstellung von dem Beklagten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aufstockend zur Erwerbsunfähigkeitsrente sowie Leistungen der Eingliederungshilfe. Gegenwärtig bezieht sie keine Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Ihr Einkommen besteht aus einer Rente wegen voller Erwerbsminderung i.H.v. 676,83 € (Zahlbetrag seit 1. Juli 2017) sowie 124,00 € Wohngeld. Ihr Girokonto wies am 27. April 2018 ein Guthaben i.H.v. 114,83 € auf.
Seit Mai 2004 fährt die Klägerin - zunächst nach Anschaffung auf eigene Kosten durch Leasing, später bei Kostenübernahme durch den seinerzeit zuständigen Landeswohlfahrtsverband nach einem verwaltungsgerichtlichen Urteil - einen neuen behindertengerecht umgebauten VW Polo, für dessen Beschaffung und Unterhaltung die Klägerin Eingliederungshilfe erhielt.
Nach einem vom Landeswohlfahrtsverband in Auftrag gegebenen neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. C. vom 12. Dezember 2005 bestehen keine Bedenken gegen die Führung eines Kraftfahrzeugs.
Aufgrund der gesetzlichen Änderung der Zuständigkeit werden die Leistungen zur Unterhaltung des Kraftfahrzeugs im Rahmen der Eingliederungshilfe inzwischen von dem Beklagten erbracht.
Am 29. November 2007 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Neufinanzierung und den Umbau eines behindertengerechten Fahrzeuges unter Vorlage von drei Kostenvoranschlägen über jeweils ca. 20.000,00 € für den Umbau sowie zwischen 34.658,00 € für einen Kleinbus Opel Vivaro Life, 36.354,50 € für einen Kleinbus Mercedes Viano sowie 39.131,14 € für einen Kleinbus VW Multivan. Der Bedarf zur Neuanschaffung werde damit begründet, dass zwar das vorhandene Fahrzeug VW Polo noch fahrbereit sei, die Klägerin den Rollstuhl jedoch nicht mehr allein in das Fahrzeug heben könne. Sie sei darauf angewiesen, direkt in das Fahrzeug hinein zu fahren bzw. hineingehoben zu werden. Sie sei aufgrund der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes hinsichtlich der Arthrose nicht mehr in der Lage, den Klapprollstuhl selbst zu verladen. Derzeit sei sie jeweils auf eine weitere Person angewiesen, zur Hilfestellung bei Ein- und Aussteigen und zum Verladen des Rollstuhls. Wenn eine solche Person nicht zur Verfügung stehe, sei sie darauf angewiesen, den Alltag verstärkt allein zu bewältigen. Sie benötige daher einen elektrischen Rollstuhl, jedoch zusätzlich weiterhin den Starrrahmenrollstuhl für das Funktionstraining im Reha-Sport, weswegen sie zur Verladung beider Rollstühle auf ein größeres Fahrzeug bzw. einen Kleinbus angewiesen sei (vgl. dazu die Erläuterungen der Klägerin Bl. 24 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten).
Hinsichtlich des Bedarfs an notwendigerweise durchzuführenden Fahrten machte die Klägerin im Rahmen der Antragstellung folgende Angaben:
- B...