Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweismaßstab bei Unfallversicherungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gesundheitsstörungen müssen, um als Unfallfolge anerkannt zu werden, im Vollbeweis nachgewiesen sein, d.h. mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen.

2. Beweismaßstab im Bereich der Unfallversicherungen ist der, der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Um die Kausalitätsbeziehungen zwischen Unfall und Unfallfolgen bejahen zu können, muss mehr für den Ursachenzusammenhang sprechen und ernste Zweifel ausscheiden. Die reine Möglichkeit genügt nicht.

 

Normenkette

SGB VII § 8; SGG § 128

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.02.2023; Aktenzeichen B 2 U 143/22 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 17. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zuglassen.

 

Tatbestand

Die 1965 geborene Klägerin begehrt die Feststellung weiterer Unfallfolgen auf Grund eines anerkannten Arbeitsunfalls.

Die Klägerin, die seinerzeit als Reinigungskoordinatorin beim Hessischen Immobilienmanagement beschäftigt war, rutschte am 21. Oktober 2012 auf der Außentreppe des Amtsgerichts C-Stadt aus, knickte mit dem linken Fuß um und stürzte auf ihre linke Körperseite. In der Unfallanzeige vom 28. Oktober 2013 wird zum Unfallhergang ausgeführt, die Klägerin sei die 6 Stufen der Treppe zum Bürgersteig hinuntergegangen, auf dem Bürgersteig auf eine kleine Schnapsflasche getreten und dabei umgeknickt.

Der Durchgangsarzt (D-Arzt) Dr. S. stellte bei seiner ersten Untersuchung am Unfalltag die Diagnosen: Verstauchung der (HWS), Prellung beider Kniescheiben, Verstauung linkes Sprunggelenk. Äußere Verletzungszeichen seien nicht erkennbar; es bestehe ein Druck- und Kopfschmerz über der Dornfortsatzreihe der HWS mit endgradig schmerzhafter Bewegungs-einschränkung; grob neurologisch seien keine Auffälligkeiten gegeben. Hinsichtlich der Knie bestehe ein Druckschmerz über beiden Kniescheiben „kein Erguss bei freier Beweglichkeit“. Bezüglich des linken Sprunggelenkes sei eine endgradige, mäßige Bewegungsschmerzhaftigkeit festzustellen bei erkennbarer zarter reizloser Narbe streckseitig, die Bandführung sei fest. Als vorbestehende unfallunabhängige Erkrankungen stellte Dr. S. u. a. eine rheumatoide Arthritis und eine Fibromyalgie fest. Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bescheinigte der Arzt zunächst für 5 Tage, bis zum 26. Oktober 2013; sie wurde bis zum 30. Oktober verlängert.

Der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. E. diagnostizierte in seiner ärztlichen Unfallmeldung 14. November 2013 Verstauchungen des linken Kniegelenks und des linken Sprunggelenks.

In seinem Nachschaubericht (bei allgemeiner Heilbehandlung) vom 6. Februar 2014 berichtete Dr. S., bei der Nachuntersuchung am 6. November 2013 habe sich klinisch ein Befund unverändert zur Erstuntersuchung gezeigt. Die Klägerin habe aber weiterhin über Schmerzen in den Schultern sowie im Sprunggelenk geklagt, eine weitere Schmerzmedikation indessen abgelehnt. Wegen der vorbestehenden rheumatologischen Arthritis habe er eine rheumatologische Behandlung empfohlen. Die Klägerin sei arbeitsfähig und verbleibe nicht in allgemeiner Heilbehandlung.

In einem weiteren Bericht vom 20. Juli 2015 teilte Dr. S. mit, die Klägerin klage weiterhin über ein unverändertes Beschwerdebild. Inzwischen sei in der Kerckhoff-Klinik eine rheumatologische Diagnostik und Behandlung durchgeführt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin ließen sich dem Entlassungsbericht der Klinik keine unfallbedingten Veränderungen entnehmen. Die Klägerin sei weiter arbeitsfähig.

Die Ärzte der Kerckhoff-Klinik (Direktor Abt. Rheumatologie Prof. Dr. D., Oberarzt Dr. F., Assistenzärztin G.) stellten in ihrem Entlassungsbericht vom 30. August 2015 die Diagnose einer Arthritis psoriatica von derzeit sehr geringer Aktivität. Ein vorbekanntes Fibromyalgiesyndrom habe sich demgegenüber hochaktiv gezeigt, weshalb eine zeitnahe schmerz-therapeutische Anbindung zum Erlernen von Schmerzbewältigungsstrategien und ggf. medikamentöse Einstellung sowie eine baldige psychotherapeutische Anbindung zur Krankheitsbewältigung empfohlen worden sei. Nebenbefundlich habe sich in der MRT (Magnetresonanztomographie) der Lendenwirbelsäule (LWS) ein Bandscheibenvorfall LWK4/5 gefunden. Bezüglich der anamnestisch angegebenen zeitweise auftretenden Gefühlsstörungen im Bereich der Zehen des rechten Fußes werde eine neurologische Abklärung empfohlen.

Mit Bescheid vom 7. Mai 1965 erkannte die Beklagte einen Arbeitsunfall mit (ausgeheilten) Prellungen beider Knie an. Die Behandlung der rheumatoiden Arthritis und der Fibromyalgie sei nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden im Bereich beider Knie über den 6. November 2013 hinaus und dem Arbeitsunfall könne nicht begründet werden.

Die Klägerin erhob Widerspruch und machte u. a. geltend, auch die Schäden an der HWS seien als Unfallfolge anzuerkennen, da sie bei dem Unfall n...

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