Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 11.03.1997; Aktenzeichen S-3/U-1002/96) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. März 1997 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger am 11. Oktober 1995 einen zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Der im Jahre 1952 geborene Kläger war als Betriebsdatenerfasser in der Betriebsabrechnung der V. in B. Beschäftigt. Am 11. Oktober 1995 stürzte er gegen 12.20 Uhr durch eine Lichtkuppel/Plexiglaskuppel des Flachdachs („Schneegangs”) zwischen Nordrandbau und Halle 3 ca. 5 m tief in den darunter liegenden Werkstattbereich bzw. auf die darunter durchführende betonierte Fahrstraße. Hierbei zog er sich insbesondere ein Schädel-Hirn-Trauma 2. Grades mit linksfrontaler Schädelfraktur und epiduralem Hämatom, eine Hüftgelenksluxation mit Absprengung des kleinen Pfannenrandes links und eine Patellafraktur links zu.
Laut Durchgangsarztbericht der S. K. K. war der Kläger bei seiner Einlieferung gegen 12.45 Uhr ansprechbar und kooperativ. Zum Unfallhergang hieß es: „Der Patient wollte in der Mittagspause in einer Nische den Durchgang lesen und eine Zigarette rauchen, dabei sei er durch den Plaxidenboden der Nische gestürzt …”.
Die Ermittlungen der Beklagten an Ort und Stelle sowie durch Rückfrage beim Arbeitgeber ergaben laut Protokollnotiz vom 24. November 1995 und Auskunft vom 5. Februar 1996, dass das Flachdach mit Teerbahnen ohne Split bedeckt war, leichte Bodenunebenheiten aufwies und trotz Trockenheit leichte Rutschgefahr bestand. Vom Treppenhausbereich führte eine kleine Treppe zu diesem Flachdach. Die Durchgangstür zwischen Treppenhaus- und Flachdachbereich war üblicherweise verschlossen, jedoch nicht abgeschlossen und mit einem schlecht leserlichen Notausgangsschild beklebt. Eine besondere Anweisung dazu an die Mitarbeiter gab es nicht. Auf dem Flachdach waren im Abstand von ca. 3 m paarweise Plexiglaskuppeln angebracht. Der Einbruch des Klägers erfolgte durch eine Kuppel, die sich etwa 2 m vom Notausgang entfernt in Höhe seines Büros befand, dessen Fenster nach einer Skizze (Bl. 6 UA) zum Flachdach hin gelegen waren. Es wurde mitgeteilt, dass die Unfallstelle üblicherweise kein Aufenthaltsort sei, jedoch von einigen Beschäftigten genutzt werde, um an der frischen Luft eine Zigarette zu rauchen. In dem davor liegenden Treppenhausbereich wurde ebenfalls geraucht; eine abgegrenzte Rauchzone war nicht vorhanden. Für die Büros gab es kein generelles Rauchverbot. In dem Zimmer, in dem der Kläger mit weiteren zehn Personen arbeitete, wurde jedoch nicht geraucht. Die Luftverhältnisse in diesem Zimmer wurden als normal bezeichnet; die Raumlüftung erfolgte durch Öffnen der Fenster. Es gab eine flexible Pausenregelung, die von den Mitarbeitern nach eigenem Ermessen und Gutdünken genutzt wurde. Der Kläger nahm seine Mittagspause üblicherweise zwischen 11.45 Uhr und 1.30 Uhr. Ob er sie am Unfalltag schon genommen hatte, war nicht bekannt. Augenzeugen des Unfallgeschehens konnten nicht ermittelt und nicht geklärt werden, wie es zu dem Bruch der Lichtkuppel und zum Absturz des Klägers kam. Der Kläger selbst gab gegenüber einem Bediensteten der Beklagten im November 1995 an, dass bei ihm eine weitestgehende Amnesie vorliege und er lediglich noch wisse, dass er sich an der Notausgangstür befunden habe, um etwas frische Luft einzuatmen. Wie es zu dem Sturz durch die 2 m entfernte Plexiglaskuppel gekommen sei, könne er sich nicht erklären.
Durch Bescheid vom 7. März 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 1996 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 11. Oktober 1995 ab, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall (§ 548 Abs. 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung –RVO–) gehandelt habe. Der Kläger sei weder bei der Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit noch durch eine mit dieser betrieblichen Tätigkeit zusammenhängenden Gefahr verunglückt, sondern bei einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit während einer Arbeitspause. Ein irgendwie gearteter betriebsbedingter Grund für das Verlassen des Büros und zumindest für das Betreten des Flachdachs sei nicht ersichtlich, zumal der Kläger auch im Treppenhaus hätte rauchen können und das Büro durch Öffnen der Fenster hätte gelüftet werden können. Dass das Rauchen vom Arbeitgeber insbesondere auch auf dem Flachdach des Betriebes geduldet worden sei, ändere an dem eigenwirtschaftlichen Charakter der zum Unfall führenden Tätigkeit nichts. Nach den räumlichen Verhältnissen und dem zeitlichen Aufwand habe es sich auch nicht um eine nur geringfügige Unterbrechung der ansonsten versicherten Bürotätigkeit gehandelt.
Hiergegen hat der Kläger am 9. August 1996 beim Sozialgericht Kassel (SG) Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, dass der Unfall sich in einer betriebsbezogenen kurzen Arbeitspause in unmittelbarer Nähe...