Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. keine Anordnung der Beendigung einer substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger durch die Kassenärztliche Vereinigung. Befugnis zur Ablehnung der Vergütung

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 8 Nr 3 der Anlage I Nr 2 - Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger - der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (juris: MVVRL) ermächtigt die Kassenärztliche Vereinigung auch im Falle der Verfestigung eines Beikonsums von Benzodiazepinen nicht, im Einzelfall die Beendigung einer Substitutionsbehandlung gegenüber dem Vertragsarzt durch Verwaltungsakt anzuordnen.

2. Unberührt hiervon bleibt die Befugnis der Kassenärztlichen Vereinigung, die weitere Vergütung der Substitutionsbehandlung zu Lasten der GKV bei Vorliegen der Voraussetzungen durch Verwaltungsakt abzulehnen.

 

Normenkette

MVVRL Anlage I Nr. 2 § 8 Nr. 3, §§ 9-10; SGB V §§ 27, 136 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.06.2010; Aktenzeichen B 6 KA 12/09 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. August 2007 sowie der Bescheid vom 16. Januar 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 insoweit aufgehoben, als dem Kläger aufgegeben wurde, die Substitutionsbehandlung des Versicherten zu beenden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung der Beendigung einer Substitutionsbehandlung des am 16. Juni 1959 geborenen Versicherten G. H. (nachfolgend: G.H.).

Der Kläger war bis zum 31. Dezember 2007 als Arzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Aufgrund eines entsprechenden Fachkundenachweises der Landesärztekammer Hessen erteilte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 1992 die Qualifikationsgenehmigung zur Durchführung und Abrechnung von Methadon-Substitutionsbehandlungen bei Intravenös-Heroinabhängigen. Der Kläger führte seit 1995 auch bei dem Versicherten G. H. eine Methadonsubstitutionsbehandlung durch, die zunächst zum 2. Januar 2005 beendet wurde (Beendigungsanzeige des Klägers vom 2. Januar 2005). Am 24. Juli 2005 meldete der Kläger den Versicherten G. H. erneut für eine substitutionsgestützte Behandlung an. Die Beklagte nahm nachfolgend eine Qualitätsprüfung der Behandlung vor, auch weil eine Qualitätsüberprüfung der Substitutionsbehandlung des Versicherten G. H. im Jahr 2004 wegen Beikonsums noch nicht abgeschlossen war. Der Kläger reichte hierzu die angeforderten Unterlagen und Urinscreenings ein und führte aus, der Patient habe zwischen Januar und Juni 2005 einen anderen Arzt aufgesucht, sei aber wegen eines befürchteten die Heroinrückfalls zu ihm zurückgekehrt. Sein Benzodiazepin-Konsum habe sich leider gesteigert, denn seine psychische Situation habe sich seit dem Tod der Mutter verschlechtert. Es bestehe der Verdacht eines Borderline-Syndroms. Wegen der niedrigen Benzodiazepin-Abhängigkeit (Niedrigdosisabhängigkeit, “Lowe-Dose-Abhängigkeit„) bestehe jedoch kein Grund, die Methadon-Behandlung abzubrechen.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2006 verpflichtete die Beklagte den Kläger, die Substitutionsbehandlung des Versicherten H. durch Ausschleichen bis spätestens 13. Februar 2006 zu beenden. Sie führte aus, nach den Feststellungen der Qualitätssicherungskommission bestehe ein Beigebrauch von Benzodiazepinen. Die Qualitätssicherungskommission habe deshalb eine Weiterbehandlung abgelehnt. Nach dem 13. Februar 2006 könne eine Vergütung der Substitutionsbehandlung nicht erfolgen. Ergänzend teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 13. Februar 2006 mit, dass sie die über den 14. Februar 2006 hinaus zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen im Wege der der sachlich-rechnerischen Berichtigung zurückverlangen werde. Den Widerspruch des Klägers vom 6. Februar 2006 wies die Beklagte nach Auswertung weiterer Urinsscreenings durch die Qualitätssicherungskommission mit Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 zurück. Der Versicherte sei seit 2. August 2005 bis 27. September 2006 nahezu durchgehend positiv auf Benzodiazepine getestet worden; lediglich einzelne Proben seien negativ gewesen.

Hiergegen hat der Kläger am 23. März 2007 Klage bei dem Sozialgericht Marburg erhoben. Das Sozialgericht Marburg hat die Klage mit Urteil vom 20. August 2007 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Nach § 8 der Anlage A 2 “Substitutionsgestützte Behandlung Opiatabhängiger„ der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung sei die Substitution bei Ausweitung oder Verfestigung des Gebrauchs von Suchtstoffen neben der Substitution zu beenden. Diese Voraussetzungen lägen bei dem...

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