Entscheidungsstichwort (Thema)

sozialgerichtliches Verfahren. Heilungsbewährung. wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 SGB 10

 

Orientierungssatz

1. Als wesentliche Änderung iS des § 48 SGB 10 - sowohl iS der Besserung wie auch der Verschlechterung - des Gesundheitszustandes gilt jedenfalls eine Veränderung, die es erforderlich macht, den Gesamt-GdB um mindestens 10 anzuheben oder aber abzusenken.

2. Die Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 sind nicht die im Erstbescheid oder bindenden Neufeststellungsbescheid genannten, nicht einmal die, welche für die Entscheidung der Verwaltung maßgeblich gewesen sind, sondern die Verhältnisse, die beim Erlaß dieses Bescheides tatsächlich vorlagen und eine in ihm enthaltene Regelung rechtfertigen (vgl BSG vom 6.12.1989 - 9 RVs 3/89 = SozR 3870 § 4 Nr 3; BSG vom 3.10.1989 - 10 RKg 7/89 = SozR 1300 § 48 Nr 60 = BSGE 65, 301, BSG vom 11.10.1994 - 9 RVs 2/93 = SozR 3-3870 § 4 Nr 10; BSG vom 11.10.1994 - 9 RVs 1/93 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5 = BSGE 75, 176; BSG vom 9.8.1995 - 9 RVs 2/95).

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.07.1994; Aktenzeichen S-3/Vb-1349/94)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) und hierbei insbesondere um die Frage, ob der Grad der Behinderung (GdB) nach Ablauf der sogenannten Heilungsbewährung herabgesetzt werden durfte.

Der 1950 geborene Kläger wurde 1987 wegen eines Blasenkarzinoms operiert. Mit Bescheid vom 29. November 1990 wurde als Behinderung "Blasentumor-Operation" mit einem GdB von 50 festgestellt. Einen Hinweis auf die sogenannte Heilungsbewährung enthielt dieser Bescheid nicht.

Mit bindend gewordenem Neufeststellungsbescheid vom 3. Juni 1991 stellte der Beklagte als Behinderungen

"1.     Blasentumor-Operation" (Einzel-GdB 50) und

"2.     degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und Gelenke" (Einzel-GdB

20)

mit einem Gesamt-GdB von 60 fest. Den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 1. Juli 1991, mit dem dieser u.a. eine Verschlimmerung seiner Wirbelsäulenbeschwerden geltend machte, lehnte der Beklagte nach Einholung eines Befundberichtes von dem Orthopäden Dr. St, R, vom 25. Juni 1991 mit Bescheid vom 25. September 1991 ab. Im Widerspruchsverfahren wurden Befundberichte von Frau M. O (Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, R) vom 29. Oktober 1991, von dem Urologen Dr. St, R, vom 3. Februar 1992 und von dem Chirurgen Dr. G, M, vom 25. Februar 1992 sowie ein Entlassungsbericht der Wirbelsäulenklinik, B H, vom 27. November 1991 beigezogen. Bei deren versorgungsärztlichen Auswertung stellte der Chirurg E fest, daß wegen der Heilungsbewährung der Gesamt-GdB auf 20 abzusenken sei. Mit Schreiben vom 11. Mai 1992 hörte daraufhin der Beklagte den Kläger gemäß § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu der beabsichtigten Herabsetzung des GdB an. Der Kläger verwies auf sein Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenleiden (CT-Befunde der Dres. A und G vom 6. August 1991 und 21. Mai 1992) und auf die am 28. Juli 1992 durchgeführte Operation im DRK-Schmerz-Zentrum, M. Der Beklagte forderte von dort einen Entlassungsbericht (11. August 1992) an und zog erneut Befundberichte von Frau O vom 7. Januar, 6. April, 26. Oktober 1993 und von Dr. St vom 25. Januar 1993 bei sowie einen Entlassungsbericht der Reha-Klinik H, B W, und setzte nach deren versorgungsärztlicher Auswertung mit Neufeststellungsbescheid vom 6. Dezember 1993 den Gesamt-GdB auf 30 herab, wobei als Behinderungen festgestellt wurden:

"1.     Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenoperation"

(Einzel-GdB 30) und

"2.     Reststörungen nach Blasenoperation" (Einzel-GdB 10).

Der Bescheid enthielt den Zusatz, daß er vom anhängigen Verfahren mitumfaßt werde. Der Kläger erhob die als "Widerspruch" bezeichneten Gegenvorstellungen und machte geltend, daß er bei Dr. St, bei Frau O und (neu) bei dem Orthopäden Dr. N in Behandlung stehe und Untersuchungen geplant seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 7. April 1994 (abgesandt am 11. April 1994) wies der Beklagte den Widerspruch sodann u.a. mit der Begründung zurück, mit dem ursprünglich angefochtenen Bescheid sei zutreffend festgestellt worden, daß seit der letzten bindenden Entscheidung (Bescheid vom 3. Juni 1991) keine wesentliche Änderung derart eingetreten sei, die zu einer Höherbewertung des GdB führen könnte. Eine wesentliche Änderung nach § 48 Abs. 1 SGB X liege dann vor, wenn ein veränderter Gesundheitszustand voraussichtlich mehr als sechs Monate andauere und die Änderung des GdB mindestens 10 betrage. Abweichend von der allgemeinen Definition einer Behinderung sei bei einigen Erkrankungen für eine bestimmte Zeitdauer (Heilungsbewährungszeit) festgelegt, daß in dieser Zeit zusätzlich ein Zuschlag anzusetzen ist, da nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung während dieser Zeit eine erhöhte Gefahr für einen Rückfall gegeben sei. Wenn in dieser Zeit kein Rückfall erfolge, sei nach Zeitablauf nur noch die ...

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