Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule als Berufskrankheit
Orientierungssatz
1. Zur Bejahung einer beruflichen Exposition zur Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter ist eine mindestens zehnjährige Tätigkeit mit dem Tragen von Lastgewichten von 50 kg und mehr auf der Schulter erforderlich. Die Lasten müssen mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen worden sein; d. h. mindestens eine Stunde lang pro Arbeitsschicht und zwar bei gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungener Kopfhaltung.
2. Finden sich klinisch und röntgenologisch lediglich altersentsprechende Verläufe im Bereich der Halswirbelsäule und zudem lediglich altersentsprechende umformende und verschleißende Veränderungen im Bereich der Brustwirbelsäule, so sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2109 der Anlage zur BKV zu verneinen.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 25. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte Erkrankungen der Halswirbelsäule (HWS) und der Lendenwirbelsäule (LWS) der Klägerin als Berufskrankheiten (BKen) nach den Nummern 2109 und 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zu entschädigen hat.
Die 1948 geborene Klägerin hat ab 1. April 1963 eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin absolviert und war dann bis 30. Juni 1979 in der Metzgerei ihres Vaters tätig. Vom 1. Juli 1979 an betrieb die Klägerin mit ihrem Ehemann einen Schlachtbetrieb. Hier schlachtete sie gemeinsam mit ihrem Ehemann ganztägig Rinder und Schweine im eigenen Schlachthaus und verarbeitete das Fleisch weiter, bevor es an Metzgereien weiterverkauft wurde. Die Klägerin gab an, in dem Betrieb seien wöchentlich sieben bis zehn Rinder und 50 bis 70 Schweine geschlachtet worden. Sie habe täglich 50 Mal und mehr Schweinehälften mit einem Gewicht von 40 bis 60 kg und Rinderviertel mit einem Gewicht von 80 bis 120 kg innerhalb des Schlachthauses und auch zum Transporter getragen. Das Tragen sei vor dem Körper, auf dem Rücken und auf der Schulter eng am Körper erfolgt. Im Sommer habe sie diese Tätigkeit bis zu 70 Stunden und im Winter bis zu 40 Stunden ausgeübt. Dieses Heben und Tragen schwerer Lasten habe den überwiegenden Teil ihrer Arbeit ausgemacht. Ab 26. Februar 1995 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt und nicht mehr in den Beruf zurückgekehrt, ein Arbeitsversuch im August 1995 scheiterte. Am 3. September 1996 stellte die Klägerin bei der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte einen Rentenantrag.
Am 14. August 1998 ging bei der Beklagten ein Antrag der Klägerin auf Anerkennung und Entschädigung ihrer LWS- und HWS-Erkrankung als BKen ein.
Die Beklagte zog eine Reihe von Berichten der behandelnden Ärzte und Kliniken der Klägerin bei. Im Rahmen einer stationären Rehabilitationsbehandlung in der Salinen Klinik Bad Rappenau vom 1. Mai bis zum 29. Mai 1996 wurden folgende Diagnosen gestellt:
- Vertebragenes pseudoradikuläres Cervikalsyndrom bei Fehlstatik und degenerativen Veränderungen
- Vertebragenes pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Fehlhaltung, degenerativen Veränderungen, Protrusio L4/5
- Coxarthrose re. ≫ li., Busse Grad I-II
- AC-Gelenkarthrose bds., beginnende Omarthrose bds., Ansatztendinose der Supraspinatussehne re.
Es fand sich eine Druckschmerzhaftigkeit im mittleren und unteren HWS-Bereich bei endgradig schmerzhafter Beweglichkeit. Die Rotation war bds. bis 70°, die Seitneigung bis 30° bds. möglich, der Kinn-Jugulum-Abstand betrug 2/19 cm. Es fand sich ein Hartspann der cervikalen Muskulatur, die Kraft der Nackenstrecker und -beuger war unauffällig. Die untere LWS war diffus klopfschmerzhaft, der Finger-Boden-Abstand betrug 0 cm, das Zeichen nach Schober wurde mit 10/14 cm gemessen, das Zeichen nach Ott 30/31 cm. Die Seitneigung der LWS war bis zu 20° bds. möglich, die Rotation bds. bis zu 40°. Die paravertebrale Muskulatur war - rechtsseitig im Lumbalbereich verstärkt - verkürzt.
Der Orthopäde Dr. C. erstellte für den Rentenversicherungsträger ein Gutachten nach Untersuchung der Klägerin am 14. Februar 1997. Neben den fachfremden Diagnosen eines arteriellen Hypertonus und einer Adipositas stellte dieser folgende Diagnosen:
- Rezidivierende Lumbago mit pseudoradikulärer Ausstrahlung rechts bei leichten degenerativen LWS-Veränderungen (einschließlich altem “Lenden-Scheuermann„), Beckenverwringung und ISG-Irritation rechts
- Chronisches Zervikobrachial- und Thorakal-Syndrom bei röntgenologisch leichter Schädigung der Etagen C5 bis C7 ohne Wurzelkompressionszeichen und bei BWS-Fehlstatik
- Tendopathia calcarea rechtes Schultergelenk mit e...