Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeld II. Nichterfüllung von Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung. stillschweigender Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme durch längere Fehlzeiten. rechtliche Einheit des Sanktions- und des Leistungsbescheides. Rechtsfolgenbelehrung der Eingliederungsvereinbarung zeitlich vor der Entscheidung des BVerfG zur teilweisen Verfassungswidrigkeit von Sanktionsregelungen. keine Rechtswidrigkeit des Minderungsbescheides. Verkürzung des Minderungszeitraumes
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Sanktionsbescheid und ein Leistungsbescheid, der die aus der Sanktion folgende Minderung einbezieht, bilden eine rechtliche Einheit, jedenfalls wenn sie in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erlassen werden.
2. Eine im Sommer 2019 erteilte Belehrung zu den Rechtsfolgen des § 31a Abs 2 SGB II, die auf die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche und jedenfalls dem Gesetzeswortlaut nach weiterhin unveränderte rechtliche Lage abgestimmt war und dementsprechend die Modifikationen, die sich nachfolgend aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 (vgl BVerfG vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 = BVerfGE 152, 68) für § 31a SGB II und den dazu ergangenen Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit ergaben, nicht berücksichtigen konnte, führt nicht zur Rechtswidrigkeit eines Minderungsbescheides.
3. Zur Verkürzung der Minderung nach § 31b Abs 1 S 4 SGB II und der in diesem Rahmen zu treffenden Ermessensentscheidung.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. März 2021 - S 4 AS 364/20 - abgeändert und der Bescheid des Beklagten vom 15. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2020 insoweit aufgehoben, als der Beklagte mit ihm eine über sechs Wochen ab dem 1. November 2019 hinausgehende Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II und eine über diesen Zeitraum hinausgehende Aufhebung der Leistungsbewilligung verfügt hat.
Der Bescheid des Beklagten vom 10. Juli 2020 wird aufgehoben, soweit der Beklagte darin einen über 236,65 Euro hinausgehenden Leistungsanspruch für Januar 2020 abgelehnt hat; der Beklagte wird verpflichtet, über einen Anspruch des Klägers auf weitere Leistungen in Höhe von 101,70 Euro für Januar 2020 erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer Sanktion in Höhe von (noch) 30 Prozent des für den Kläger maßgebenden Regelbedarfs und deren Folgen für den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 1. November 2019 bis 31. Januar 2020.
Der 1999 geborene Kläger lebt mit seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern zusammen. Die Familienmitglieder beziehen in Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Für den von der Sanktion betroffenen Zeitraum gewährte ihnen der Beklagte zunächst durch Bescheid vom 5. Juni 2019 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2019, und zwar für den Kläger in Höhe von 345,- Euro für November 2019 und 306,49 Euro für Dezember 2019, jeweils unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs von 339,- Euro. Auf Bl. 541 ff. der zum Kläger und seiner Familie geführten Leistungsakte des Beklagten, Aktenteil Leistung - im Folgenden: LA Leistung - wird Bezug genommen. Auf Grund einer Heizkostenabrechnung, aus der sich unter anderem ein erhöhter monatlicher Vorauszahlungsbetrag ergab, änderte der Beklagte bei unveränderten Regelbedarfen die - weiterhin vorläufige - Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 16. Juli 2019 ab und gewährte dem Kläger nunmehr Leistungen in Höhe von 359,- Euro für November 2019 und 321,06 Euro für Dezember 2019. Auf LA Leistung Bl. 580 ff. wird verwiesen. Gegen diesen Bescheid legten die Mitglieder der Familie durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers Widerspruch ein (LA Leistung Bl. 598 ff.), nahmen diesen allerdings mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 7. Januar 2020 (LA Leistung Bl. 754) wieder zurück.
Der Kläger hatte, soweit ersichtlich im Jahr 2017, die Hauptschule abgeschlossen und anschließend am 14. August 2017 eine Berufsausbildung zum Fachlageristen in einer außerbetrieblichen Einrichtung des BZ Bildungszentrums A-Stadt GmbH aufgenommen. Das Ausbildungsverhältnis endete jedoch wegen hoher Fehlzeiten innerhalb der Probezeit.
Im Rahmen der Vermittlungsbemühungen des Beklagten absolvierte der Kläger dann in der Zeit vom 22. Oktober 2018 bis 11. März 2019 die Maßnahme „MSC“ (modulares systemisches Coaching) bei dem Träger „Tertia“. Ausweislich der Maßnahmebeschreibung waren die übergeordneten Ziele die Heranführung an den Arbeitsmarkt sowie die Beratung und Stärkung der Teilnehmer in ihrer jeweiligen Lebenslage. Auf den Abschlussbericht des M...