Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeld II. stillschweigender Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme durch längere unentschuldigte Fehlzeiten. keine Anwendung der verschärften Sanktion für junge Erwachsene nach der Entscheidung des BVerfG zur teilweisen Verfassungswidrigkeit von Sanktionsregelungen. keine Rechtswidrigkeit des Minderungsbescheides
Orientierungssatz
Sind die Regelungen einer verschärften Sanktion gemäß § 31 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 31a Abs 2 SGB 2 zeitlich nach dem Urteil des BVerfG vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 = BVerfGE 152, 68 = NJW 2019, 3703 nicht mehr angewandt, sondern das Arbeitslosengeld II um 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs für die Dauer von 3 Monaten gemindert worden, so bestehen diesbezüglich keine (verfassungs-)rechtlichen Bedenken, wenn keine außergewöhnliche Härte vorlag und der Leistungsberechtigte ausdrücklich mitgeteilt hat, die Mitwirkung nicht nachholen zu wollen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer Sanktion.
Der 1999 geborene Kläger lebt zusammen mit seiner Mutter und drei jüngeren Geschwistern. Die Familie bezieht vom Beklagten laufend Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch - SGB II -. Im hier streitbefangenen Zeitraum wurden ihnen mit Bescheid vom 5.6.2019 für die Zeit vom 1.7. bis 31.12.2019 vorläufig Leistungen gewährt.
Der Kläger stand während des Leistungsbezuges in häufigem Kontakt mit dem Beklagten. Er hatte den Hauptschulabschluss gemacht, jedoch keine weitere Berufsausbildung begonnen. Bereits in der Zeit vom 22.10.2018 bis 11.3.2019 absolvierte der Kläger auf Vermittlung und Kosten des Beklagten eine Coachingmaßnahme „MSC“ (modulares systemisches Coaching) bei dem Träger „C.“. Ausweislich der Maßnahmebeschreibung waren die übergeordneten Ziele die Heranführung an den Arbeitsmarkt sowie Beratung und Stärkung der jeweiligen Lebenslage des Betroffenen. Aus den Beratungsvermerken der Beklagten geht hervor, dass sich bereits damals die Einhaltung von Terminen durch den Kläger problematisch gestaltete. Ferner geht daraus hervor, dass sein familiäres Umfeld schwierig war und teilweise auch Familienhilfe in Anspruch genommen wurde. Der Träger „C.“ erstellte über den Kläger einen Abschlussbericht vom 15.3.2019 (Bl. 4 ff. der Verwaltungsakte).
In der Zeit vom 2.5. bis 5.7.2019 nahm der Kläger auf der Basis der Eingliederungsvereinbarung vom 8.5.2019 an der Maßnahme „LoLA XII“ (= Lokales Netzwerk Lernen und Arbeiten), eine Maßnahme des Maßnahmeträgers D. A-Stadt gGmbH zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 45 SGB III teil. Ausweislich der Eingliederungsvereinbarung war Bildungsziel die Aktivierung von Bewerber*innen U 25 zur Überwindung von Vermittlungshemmnissen mit einem Lotsen für individuellen pädagogischen Förderbedarf. Zielgruppe dieses Angebotes waren Teilnehmer*innen U 25, die wegen vielfältiger Vermittlungseinschränkungen an den Arbeits- und Ausbildungsmarkt herangeführt werden müssen und einen hohen sozialpädagogischen Unterstützungsbedarf haben. Die Dauer der Maßnahmen war mit „individuell bis max. 11,5 Monate“ angegeben. Die Anzahl der Wochenstunden betrugen 30 und verteilten sich auf tägliche Unterrichtszeiten von ca. 9 bis 15:00 Uhr.
Ab 16.7.2019 nahm der Kläger basierend auf der Eingliederungsvereinbarung vom 23.7.2019, an der Fortsetzungs-Maßnahme „LoLA XIII“ teil. LoLA XIII verfolgte als Fortsetzung der Maßnahme LoLA XII das gleiche Bildungsziel, war an dieselbe Zielgruppe gerichtet und fand ebenfalls mit 30 Wochenstunden, verteilt auf tägliche Unterrichtszeiten von 9.00 bis 15.00 Uhr, statt. Ausweislich der Beratungsvermerke des Beklagten kam es sowohl während der Maßnahme LoLA XII als auch bei der Maßnahme LoLA XIII zu Fehlzeiten des Klägers. Aus einem Vermerk vom 14.8.2019 geht hervor, dass sich die Anwesenheitszeit des Klägers bei der Maßnahme seit dem letzten Interventionsgespräch deutlich verbessert habe und er den Besuch der Abendschule zur Erreichung des Realschulabschlusses anstrebe. Eine Fortsetzung der Maßnahme LoLA wurde seitens des Beklagten für notwendig erachtet. Ferner geht aus dem Vermerk hervor, dass vereinbart worden sei, dass der Kläger weiter an LoLA teilnehme und abends die Abendschule besuche. Ab 20.8.2019 besuchte der Kläger die Abendschule. Der Maßnahmeträger teilte dem Beklagten dann unter dem 26.8.2019 mit, dass der Kläger seit dem Einstufungstest der Abendschule unentschuldigt fehle. Aus dem Vermerk vom 26.8.2019 geht weiter hervor, dass der Kläger schriftlich mitgeteilt habe, dass er sich bei der Maßnahme „überfordert“ fühle.
Der Maßnahmeträger mahnte den Kläger erstmalig mit Schreiben vom 26.8.2019 ab, da dieser bereits seit 16.8.2019 unentschuldigt im Projekt LoLA gefehlt habe. Der Kläger nahm auch weiterhin an der Maßnahme nicht mehr teil, so dass der Maßnahmeträger unter dem 2.9.2019 eine zweite Abmahnung an den Kläger übersandte.
Aufgrund fortdauernd...