Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsfördernde Maßnahme. Erhaltung der Erwerbsfähigkeit. Zuschuß zum Erwerb eines Kraftfahrzeuges. Zweck und Dauer der Rehabilitation
Leitsatz (amtlich)
Nach der Zielsetzung er Rehabilitation im Sinne einer möglichst dauerhaften beruflichen Eingliederung erfordert die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit in § 1236 RVO auch wiederholte Maßnahmen oder sogar Dauermaßnahmen, wenn dadurch der Arbeitsplatz des Behinderten gesichert werden kann.
Die Begrenzung der Gewährung von Kfz.-Zuschüssen durch Richtlinien der Rentenversicherungsträger auf Erstbeschaffung und Ersatzbeschaffung frühestens nach 5 Jahren sind von §§ 1236, 1237 a Abs. 2 Satz 1 RVO und §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 3, 11 Abs. 1 Satz 1 RehaAnglG nicht gedeckt.
Normenkette
RVO § 1236 Abs. 1, § 1237a Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
SG Marburg (Urteil vom 19.01.1977) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. Januar 1977 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges streitig.
Der am … 1938 geborene Kläger ist seit November 1961 bei der Firma V. KG in A. als Produktionsarbeiter beschäftigt. Er leidet nach einer Bescheinigung des Amtsarztes Dr. M. vom 3. Januar 1969 an einer unfallbedingten Arthrosis deformans des linken Kniegelenks, an Muskelschwäche des linken Ober- und Unterschenkels, an einer Deformierung des rechten Unterschenkels nach kompliziertem Unterschenkelbruch und an einer Teilversteifung des rechten oberen Sprunggelenks. Diese Unfallfolgen bedingen eine erhebliche Gehbehinderung, so daß der Kläger für die Fahrten zwischen seinem Wohnort R., der 1,8 km von A. entfernt ist, und der Arbeitsstelle auf die Benutzung eines Kraftfahzeuges angewiesen ist. Der Kläger schaffte sich in den Jahren 1962, 1965 und 1969 Kraftfahrzeuge an, die er selbst finanzierte und benutzte die Fahrzeuge auch für die Fahrten zur Arbeitsstelle.
Wegen des Alters seines Kraftfahrzeuges und dessen Reparaturbedürftigkeit beabsichtigte der Kläger die Neuanschaffung eines Pkw und beantragte am 9. Juli 1975 bei der Beklagten die Gewährung eines Zuschusses zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Durch Bescheid vom 11. August 1975 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf ihre Grundsätze für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen für Behinderte ab. Der Kläger gelte durch die vorausgegangenen Beschaffungen als wiedereingegliedert und habe deshalb wie jeder Nichtbehinderte für weitere Beschaffungen selbst aufzukommen.
Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 1975 mit der Begründung zurückgewiesen, dem Kläger müsse nach fast 14-jähriger beruflicher Tätigkeit bei der Fa. V. KG zugemutet werden, für die Beschaffung weiterer Kraftfahrzeuge selbst Vorsorge zu treffen.
Mit seiner Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und trug vor, daß er wegen der Art und Schwere der Behinderung zum Erreichen des Arbeitsplatzes auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen sei.
Die Richtlinien der Beklagten enthielten keine Beschränkung auf die Erstbeschaffung eines Kraftfahrzeuges.
Nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und den vorangegangenen Anschaffungen ohne jeglichen Zuschuß habe die Beklagte die in ihren Richtlinien vorgesehene Härteklausel anzuwenden.
Durch Urteil vom 19. Januar 1977 hob das Sozialgericht Marburg den Bescheid vom 11. August 1975 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 1975 auf und ließ in der Urteilsformel die Berufung zu. In der Begründung heißt es, der Kläger habe bisher aus Unkenntnis keinen Zuschuß beantragt; dieser Gesichtspunkt und auch die finanzielle Situation des Klägers hätte von der Beklagten im Rahmen der Härteklausel des § 62 ihrer Richtlinien geprüft werden müssen.
Gegen dieses der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 31. Januar 1977 zugestellte Urteil richtet sich deren beim Hessischen Landessozialgericht am 10. Februar 1977 eingelegte Berufung.
Die Beklagte verweist erneut auf die Grundsätze für die Hilfe zur Beschaffung von Kraftfahrzeugen und vertritt die Auffassung, Dauermaßnahmen seien dem Wesen der Rehabilitation fremd. Der Kläger sei seit 1961 in das Erwerbsleben eingegliedert und gelte nach der mehrfachen Beschaffung von Kraftfahrzeugen als voll rehabilitiert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. Januar 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat durch Einholung einer schriftlichen Auskunft der Dres. W. und R. F. vom 24. Februar 1978 Beweis erhoben.
Wegen der Einzelheiten der schriftlichen Auskunft wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung war der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung weder vertr...