Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Hinterbliebenenleistung gem § 63 Abs 1 S 1 SGB 7. Nachweis eines Arbeitsunfalls. ungeklärter Umstand: versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt. Beweislast. Beweisschwierigkeiten. keine Umkehr der Beweislast. Beweiserleichterung im Rahmen der Beweiswürdigung. Unfall auf dem Betriebsgelände nach offiziellem Dienstschluss
Orientierungssatz
1. Zum Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Hinterbliebenenleistung gem § 63 Abs 1 S 1 SGB 7, wenn nicht nachgewiesen werden konnte, dass der tödlich verunglückte Versicherte im Unfallzeitpunkt eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hatte.
2. Beweisschwierigkeiten bei einem tödlich verlaufenden Arbeitsunfall führen nicht zur Umkehr der Beweislast. Bei einer solchen Konstellation ist vielmehr im Wege der Beweiswürdigung - speziell durch Beweiserleichterung - Rechnung zu tragen. Im Falle einer Beweiserleichterung darf das entscheidende Gericht geringere Anforderungen an den Beweis der betreffenden Tatsache stellen als üblich ohne allerdings den Beweismaßstab zu reduzieren.
3. Bei einer Beweiserleichterung dieser Art handelt es sich nicht um ein eigenständiges Rechtsinstitut, sondern um eine Anwendung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Gericht die Überzeugung von einem bestimmten Geschehensablauf trotz bestehender theoretischer Zweifel gewinnen kann. Welche Folgerungen sich aus der Beweisschwierigkeit für die Entscheidung im Einzelfall ergeben, obliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gießen vom 17. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Witwe des 1956 geborenen und 2008 in Folge eines Unfalles verstorbenen Versicherten BA. (im Folgenden: der Versicherte), der seit März 1995 beim D. A-Stadt GmbH und Co. KG beschäftigt war. Sie streitet um die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und will, dass der Unfall des Versicherten als Arbeitsunfall anerkannt und entschädigt wird.
Der Versicherte war seit März 1995 zunächst mit einem Zeitarbeitsvertrag und sodann aufgrund des Arbeitsvertrages vom 24. Juni 1996 als Furnierarbeiter im Dreischichtbetrieb beschäftigt. Er war zusammen mit dem Arbeitskollegen E. F. damit betraut, den auf dem Betriebsgelände/Holzplatz des D.es betrieben Brückenkran zu führen. Der Versicherte hatte am 7. Oktober 2008 die Frühschicht als Kranführer beendet und der Zeuge F. hatte die Führung des Kranes übernommen. Nach Angaben des Zeugen F. wurde der Versicherte gegen 15:20 Uhr beim Abstieg von der Revisionsetage des Kranes auf die Kabinenetage zwischen der auf der Lauffläche vom Zeugen bewegten Krankabine und dem feststehenden Krangestänge eingequetscht. Der Versicherte zog sich ausweislich des Durchgangsarztberichtes des Prof. G., Chirurgische Universitätsklinik Gießen, vom 8. Oktober 2008 und der anschließend im Gerichtsmedizinischen Institut der Universitätsklinik Gießen veranlassten Obduktion beiderseitige Rippenbrüche mit Verletzung der Lunge sowie weitere intraabdominelle Verletzungen (Zerreißung der Herzkammer mit massiver Einblutung in Brust- und Bauchraum) zu, woran er nach einstündigen erfolglosen Wiederbelebungsmaßnahmen verstarb. Sein Tod wurde um 16:35 Uhr ärztlicherseits festgestellt.
Die Beklagte zog die kriminalpolizeiliche Ermittlungsakte vom Polizeipräsidium Mittelhessen, Kriminaldirektion und Kriminalinspektion Gießen, bei. Die Akte enthält neben Fotos vom Brückenkran den Vermerk der Kriminaloberkommissarin Feierabend vom 10. Oktober 2008 sowie das Protokoll über die Vernehmung des E. F. vom 10. Oktober 2002. Der technische Aufsichtsbeamte (TAB) der Beklagten H. führte am 8. Oktober 2008 im Betrieb eine Unfalluntersuchung durch, über die er am 23. Oktober 2008 berichtet hat. Die Beklagte hat hierzu eine separate Verwaltungsakte angelegt, in der die Ergebnisse der Besichtigung vor Ort einschließlich der Fotos vom Unfallort und vom Kran, das Prüfbuch des Kranes und die Stempelkarte des Versicherten vom Oktober 2008 enthalten sind, zudem Berichte über die Anhörung der Arbeitskollegen F. und J.. Mit Bescheid vom 20. November 2008 lehnte die Beklagte Hinterbliebenenleistungen der Klägerin ab, da das Ereignis vom 7. Oktober 2008 keinen Arbeitsunfall dargestellt habe. Unbewiesen sei, dass der Versicherte nach Beendigung seiner Tätigkeit um 13:48 Uhr mehr als eine Stunde später noch bei einer versicherten Tätigkeit verunfallt sei. Er habe am Unfalltag ab 4:04 Uhr Frühschicht gehabt und sei danach von seinem Kollegen F. auf dem Kran abgelöst worden. Zum Unfallzeitpunkt sei F. damit beschäftigt gewesen, mit dem Kran Holzstämme aus der Dämpfgrube zu entnehmen und auf den Querförderer vor dem Schalwerk abzulegen, als dieser plötzlich stehengeblieben sei und alle Bedienelemente...