Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungskonforme Auslegung des § 137 Abs 1a AFG
Orientierungssatz
1. § 10 Nr 3 AlhiV ist nicht von der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs 3 AFG gedeckt (Festhaltung an LSG Darmstadt vom 6.12.1989 - L-6/Ar-702/89).
2. Verfassungskonform kann § 137 Abs 1a AFG allein dahingehend ausgelegt werden, daß die unterlassenen Handlungen iS dieser Bestimmung sowohl kausal für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs, als auch arbeitsförderungsrechtlich und unter Beachtung der dem AFG und der Zumutbarkeitsanordnung inne wohnenden Vermittlungsgrundsätze zumutbar sein müssen.
3. Eine Auslegung des § 137 Abs 1a AFG, die allein auf das Vorhandensein dem Grunde nach unterhaltspflichtiger Verwandter ersten Grades ohne Beachtung der ansonsten arbeitsförderungsrechtlich maßgeblichen Zumutbarkeit der Ausübung einer Beschäftigung abhebt, ist nicht mit dem im AFG postulierten Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung zu vereinbaren und würde damit gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßen.
Verfahrensgang
SG Magdeburg (Urteil vom 19.04.1989; Aktenzeichen S-5/Ar-240/88) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 wird zurückgewiesen.
II. Der Bescheid vom 8. November 1989 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auch in der Zeit vom 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger in der Zeit vom 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 sowie ab dem 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe zusteht. Umstritten ist dabei, ob mögliche Unterhaltsansprüche des Klägers gegen seinen Vater der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe entgegenstehen.
Der Kläger ist 1957 geboren. Er lebt mit Frau … in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Der Kläger und Frau … haben ein gemeinsames Kind, das 1984 geboren wurde. Dem Haushalt des Klägers gehört ein weiteres minderjähriges Kind von … an.
Der Kläger ist von Beruf Kraftfahrer mit Führerschein Klasse 2. Im Verlauf seiner Tätigkeit war der Kläger auch im grenzüberschreitenden Fernlastverkehr eingesetzt.
Der Vater des Klägers ist niedergelassener Zahnarzt. Den elterlichen Haushalt hat der Kläger mit 18 Jahren verlassen. Nach Führung eines Unterhaltsrechtsstreits gegen seinen Vater im Jahre 1975 kam erstmals 1987 wieder ein Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Vater zustande. Seither fanden zwei weitere Begegnungen statt.
Im Zusammenhang mit einer von der Beklagten gegenüber dem Vater des Klägers vorgenommenen Anfrage erklärte dieser mit Schreiben vom 29. Dezember 1985, er würde den Kläger gerne wieder bei sich aufnehmen, ihm einen Wohnraum zur Verfügung stellen und ihm anbieten, bei ihm zu essen und ihn zu kleiden sowie ihn im Haushalt und im Labor seiner Praxis zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 7. Februar 1988 wurde dieses Angebot gegenüber dem Arbeitsamt wiederholt. Der Kläger lehnte dieses Angebot unter Hinweis auf die im Verhältnis zu seinem Vater eingetretene Zerrüttung der beiderseitigen Beziehungen sowie im Hinblick auf seine eigenen familiären Verhältnisse ab.
Zwischen Februar 1979 und März 1987 übte der Kläger mit Unterbrechungen Versicherungspflichtige Beschäftigungen als Fernfahrer aus. Am 1. April 1987 meldete er sich arbeitslos. In der Folgezeit bezog er bis zur Anspruchserschöpfung am 28. November 1987 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von zuletzt 600,- DM. Bei der Vermittlung des zuständigen Arbeitsamtes wurde der Kläger während seiner Arbeitslosigkeit als Kraftfahrer geführt. Bezogen auf diese Berufstätigkeit beschränkte sich nach seinen Angaben auch die eigene Stellensuche. Um andere Arbeiten, insbesondere um die Übernahme von Hilfsarbeiten, bemühte sich der Kläger nicht.
Der Antrag des Klägers auf Anschlussarbeitslosenhilfe wurde durch Bescheid vom 17. Februar 1988 mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei in der Lage, seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe sicherzustellen, so dass Bedürftigkeit nicht vorliege, denn sein Vater habe gegenüber dem Arbeitsamt erklärt, dass er den Kläger in vollem Umfang unterhalten wolle. Die zugesagten Unterhaltsleistungen schlössen den Wohnraum, das Essen und die Kleidung sowie einen Arbeitsplatz in seiner Praxis ein.
Ab dem 13. März 1989 bis zum 31. August 1989 war der Kläger erneut als Kraftfahrer beschäftigt. Sein Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom 8. September 1989 wurde von der Beklagten mit derselben Begründung - und nunmehr unter Berufung auf § 137 Abs. 1 a AFG i.d.F. vom 30. Juni 1989 (BGBl. 1, S. 1288) - durch Bescheid vom 8. November 1989 gleichfalls abgelehnt. Seit dem 1. Juni 1990 steht der Kläger erneut in einem Beschäftigungsverhältnis als Lkw-Fahrer.
In dem gegen den Bescheid vom 17. Februar 1988 eingelegten Widerspruch erklärte der Kläger, die von seinem V...