Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch. Aussetzung der Abschiebung für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina
Orientierungssatz
Ein Abschiebestopp auf "unbestimmte Zeit", wie er nach § 1 Abs 3 BKGG gefordert wird, liegt jedenfalls auch dann vor, wenn die Befristung offen läßt, daß sich angesichts der politischen Verhältnisse im Herkunftsland möglicherweise gleichlautende Abschiebestopps an die erstmalige Regelung anschließen können (vgl LSG Darmstadt vom 28.9.1994 - L 6 Kg 916/93).
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 31.08.1994; Aktenzeichen S-17/12/Kg-1516/92) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 31. August 1994 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für die Zeit von April 1993 bis Dezember 1993 Kindergeld zusteht.
Der Kläger ist Bürgerkriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Er ist seit 1979 verheiratet. Am 13. April 1992 reiste er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern B. (geb. … 1980) und B. (geb. … 1983) in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er seither lebt.
Dem Kläger wurde erstmals am 15. Mai 1992 vom Landrat des W. Kreises eine Duldungsbestätigung nach Maßgabe des Erlasses des Hessisches Ministeriums des Innern und für Europaangelegenheiten vom 7. Mai 1992 (unveröffentlicht; Az.: Az II A 51-23 d) erteilt. Mit diesem Erlass wurde die Abschiebung von Personen aus Bosnien-Herzegowina gem. § 54 Ausländergesetz (AuslG) ausgesetzt, die Duldung des Aufenthaltes nach §§ 55, 56 AuslG angeordnet und die nachgeordneten Behörden angewiesen, der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nicht zu entsprechen.
Die zunächst bis zum 7. November 1992 gültige Duldung wurde gegenüber dem Kläger, gerechnet vom jeweiligen Antragsdatum, sukzessive für jeweils sechs Monate bis zum 30. September 1995 verlängert. Anschließend erhielt der Kläger am 28. August 1995 eine bis zum 27. August 1996 gültige Aufenthaltsbefugnis. Die Verlängerung der Duldung beruht jeweils auf einer Verlängerung der zugrundeliegenden ministeriellen Erlasse (zuletzt Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz v. 19.12.1995). Letztmalig während des streitbefangenen Zeitraums war die Anordnung der Verlängerung von Duldungen gegenüber Personen aus Bosnien-Herzegowina durch Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Europaangelegenheiten vom 22. September 1993 angeordnet worden.
Während des streitbefangenen Zeitraums standen sowohl der Kläger als auch dessen Ehefrau in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, für die Arbeitserlaubnisse der zuständigen Arbeitsämter vorlagen. Für das ausschließlich aus nichtselbständiger Arbeit erzielte Einkommen der Eheleute P. wurde für das Jahr 1993 vom Finanzamt B. v.d.H. durch Bescheid vom 12. Dezember 1994 unter Einräumung zweier Kinderfreibeträge von insgesamt 8.208,- DM eine Einkommensteuer in Höhe von 5.594,- DM festgesetzt.
Am 24. Juli 1992 beantragte der Kläger die Gewährung von Kindergeld für seine Kinder B. und B. Durch Bescheid vom 8. August 1992 wurde dieser Antrag abgelehnt. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 19. November 1992 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Anspruch des Klägers scheitere daran, dass dieser nicht über den nach § 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) erforderlichen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Bundeskindergeldgesetzes verfüge. Der nur geduldete Aufenthalt rechtfertige die Annahme eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes wegen seines zeitlich befristeten Charakters grundsätzlich nicht, und zwar unabhängig davon, wie lange dieser Aufenthalt tatsächlich andauere. Anders sei dies nur bei Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina, die auf der Grundlage des Beschlusses der Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder vom 21. Juli 1992 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien. Diese Flüchtlinge erhielten von den Ausländerbehörden der Länder eine im Regelfall zunächst auf ein halbes Jahr befristete Aufenthaltsbefugnis. Bei diesem Personenkreis könne aufgrund der besonderen Umstände bei der Einreise davon ausgegangen werden, dass diese für die Dauer der Aufenthaltsbefugnis ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hätten. Personen ohne diese Aufenthaltsbefugnis aus dem ehemaligen Jugoslawien blieben von dieser Regelung jedoch unberührt. Der Kläger gehöre jedoch nicht zum Personenkreis, der im Beschluss der Konferenz der Innenminister des Bundes und der Länder vom 21. Juli 1992 angesprochen sei.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Gießen die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 8. August 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheide...