Entscheidungsstichwort (Thema)
Fiktive Pflichtbeitragszeiten für eine Lehrzeit
Orientierungssatz
Die Rechtsauffassung, nach der § 247 Abs 2a SGB 6 nur bei bestimmten Personengruppen Anwendung finden soll, deren Versicherungspflicht erst während des im Gesetz genannten Zeitraums klargestellt worden ist, findet im Wortlaut der Vorschrift keinen Anhalt; auch die Entstehungsgeschichte der Norm spricht nicht zwingend für eine einschränkende Auslegung, die Gesetzesmaterialien stehen vielmehr einer dem Gesetzeswortlaut entsprechenden großzügigen Interpretation und einer pauschalen fiktiven Berücksichtigung von Lehrzeiten als Beitragszeiten nicht entgegen (Anschluß an BSG vom 8.2.1996 - 13 RJ 45/94 = SozR 3-2600 § 247 Nr 1).
Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 08.02.1996; Aktenzeichen S-2/An-817/95) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. Februar 1996 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin ihre zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen auch der Berufungsinstanz zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Beklagte die Lehrzeit der Klägerin als Pflichtbeitragszeit vorzumerken hat.
Die 1948 geborene Klägerin absolvierte vom 1. August 1962 bis 31. Juli 1965 eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau bei der Firma L. J. in W. an der D. einem Lebensmittelgeschäft. Sie besuchte vom 7. September 1962 bis 18. Juli 1965 die Städtische Berufsschule für Mädchen in R. und schloss die Ausbildung mit der Kaufmannsgehilfenprüfung am 31. Juli 1965 erfolgreich ab. Beiträge zur Rentenversicherung wurden jedoch lediglich von August 1962 bis Oktober 1962 entrichtet.
Am 7. Juni 1994 beantragte die Klägerin, die Lehrzeit vom 1. August 1962 bis 31. Juli 1965 als Pflichtbeitragszeit anzuerkennen. Als Nachweis legte sie eine Zeugenerklärung von Frau M. B. vom 8. April 1991 vor sowie die Kopie des Kaufmanngehilfenbriefes vom 31. Juli 1965, eine Kopie des Entlassungszeugnisses der Städtischen Berufsschule für Mädchen in R. vom 18. Juli 1965 sowie eine Bescheinigung der AOK R. über Mitgliedschafts- und Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 2. Januar 1989, aus der sich ergibt, dass eine Mitgliedschaftszeit lediglich vom 1. September 1962 bis 31. Oktober 1962 gemäß § 165 RVO bei der Firma J. in W. bestanden hat. Als Grundlohn bzw. Sachbezug ist ein Betrag von 3,- DM angegeben.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 20. Oktober 1994 ab und wies den hiergegen am 9. November 1994 erhobenen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1995 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass eine Anerkennung der Lehrzeit gemäß § 247 Abs. 2 a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht möglich sei, da diese Vorschrift nur in den Fällen anwendbar sei, in denen die Beitragszahlung wegen der seinerzeit bestehenden Rechtsauffassung der Sozialversicherungsträger unterblieben sei. Seien die Beiträge aus sonstigen Gründen nicht gezahlt worden, so könnten die dadurch verursachten Beitragslücken nicht geschlossen werden. Im vorliegenden Fall sei die fehlende Beitragszahlung jedoch nicht aufgrund der seinerzeit bestehenden Rechtsauffassung unterblieben.
Hiergegen hat die Klägerin am 17. Juli 1995 Klage bei dem Sozialgericht Kassel erhoben. Sie macht weiterhin geltend, es sei ihr nicht bekannt gewesen, dass ab November 1962 keine Beiträge mehr durch ihren damaligen Arbeitgeber abgeführt worden seien. Sie habe weiterhin die vorherige Nettoausbildungsvergütung in bar bezogen und zwar für das gesamte erste Jahr in monatlich gleichbleibender Höhe. Dass eine Beitragszahlung unterblieben sei, habe sie erst bei einer späteren Überprüfung ihres Rentenanspruches erfahren, nachdem sie im Jahre 1987 wieder berufstätig geworden sei.
Mit Urteil vom 8. Februar 1996 hat das Sozialgericht Kassel die angegriffenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, die Lehrzeit der Klägerin vom 1. November 1962 bis 30. Juni 1965 als Pflichtbeitragszeit anzuerkennen. Dies folge aus § 247 Abs. 2 a SGB VI, wonach Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten seien; in denen in der Zeit vom 1. Juni 1945 bis 30. Juni 1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden habe, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diesen Zeitraum jedoch nicht erfolgt sei. Warum die Beitragszahlung für die Klägerin während ihrer Lehrzeit ab dem 1. November 1962 unterblieben ist, sei nicht geklärt und deshalb sei auch nicht auszuschließen, dass sie zu dem Personenkreis gehört habe, für den eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung umstritten gewesen sei. Hierfür könnte sprechen, dass der Arbeitgeber die Klägerin zunächst bei der zuständigen Allgemeinen Ortskrankenkasse angemeldet und dann zum 31. Oktober 1962 wieder abgemeldet habe. Hätte unstreitig weiter Versicherungspflicht für die Klägerin bestanden, wäre der Arbeitgeber weite...