Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertrauensschutz nach § 45 Abs 2 SGB 10 für einen Bezieher einer teilweisen Erwerbsminderungsrente. rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung

 

Orientierungssatz

Zum Vertrauensschutz nach § 45 Abs 2 SGB 10 für einen Bezieher einer teilweisen Erwerbsminderungsrente, dem rückwirkend zum Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wird.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 25.05.2018; Aktenzeichen B 13 R 33/15 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 27. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rückforderung zu viel gezahlter Rentenleistungen in Höhe von 1.305,56 Euro.

Die 1956 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2010 die Gewährung von Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation. Der Antrag wurde gem. § 116 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) umgedeutet in einen Neuantrag auf Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Durchführung von medizinischen Ermittlungen entschied die Beklagte mit Bescheid vom 19. September 2011, dass die Klägerin ab 1. Februar 2011 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum 30. September 2013 in Höhe von 394,29 Euro monatlich erhalte. Der Krankenkasse der Klägerin wurden aus der Nachzahlung von 3.529,26 Euro 2.740,68 Euro erstattet, der Klägerin 788,58 Euro überwiesen.

Auf den Widerspruch der Klägerin, mit dem diese weiter die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung geltend machte, entschied die Beklagte schließlich mit Bescheid vom 23. Januar 2012, ohne bereits eingeleitete Ermittlungen zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes abzuschließen, die Klägerin erhalte auf ihren Antrag anstelle der bisherigen Rente ab 1. Februar 2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 788,58 Euro. Für die Zeit vom 1. Februar 2011 bis 29. Februar 2012 betrage die Nachzahlung 10.212,79 Euro. Die Nachzahlung werde vorläufig nicht ausgezahlt. Am 8. Februar 2012 nahm die Klägerin ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. September 2011 (Bewilligung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung) zurück.

Die Krankenkasse der Klägerin machte Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 8.174,56 Euro geltend abzüglich schon erhaltener Beträge (= 5.433,88 Euro), die Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 978,05 Euro.

Mit Bescheid vom 21. Mai 2012 nahm die Beklagte den Bescheid vom 19. September 2011 hinsichtlich des Zahlungsanspruchs für die Zeit vom 1. Februar 2011 bis 30. September 2013 nach § 48 SGB X zurück. Für die Zeit vom 1. Februar 2011 bis 29. Februar 2012 ergebe sich eine Überzahlung in Höhe von 5.106,42 Euro (= 13 x 394,29 Euro). Der überzahlte Betrag sei von der Klägerin nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Im Interesse der Klägerin habe die Beklagte den überzahlten Betrag mit der Rentennachzahlung aus der Rente wegen voller Erwerbsminderung verrechnet. Die restliche Überzahlung betrage noch 1.305,56 Euro. Dieser Betrag sei von der Klägerin an die Beklagte zurückzuzahlen. Hiergegen richtete sich die Klägerin mit Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2012 zurückwies. Die Klägerin habe den erhobenen Widerspruch nicht begründet und neue Tatsachen nicht vorgetragen. Eine Überprüfung sei danach nur nach der bekannten Sachlage möglich. Der angefochtene Bescheid sei nicht zu beanstanden.

Gegen den Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 5. Dezember 2012 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt. Die Klägerin vertrat die Auffassung, es sei nicht erkennbar, warum der Bescheid wegen teilweiser Erwerbsminderung habe aufgehoben werden müssen. In den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen sei nämlich keine wesentliche Änderung eingetreten. Auch sei eine Überzahlung an Rente nicht eingetreten. Sie erhalte vielmehr die Zahlbeträge an Rente, die sie beanspruchen könnte, wenn die Beklagte diese Rente errechnet habe mit einem Rentenartfaktor, der einer Rente wegen voller Erwerbsminderung entspreche. Es handele sich hier um einen eigenständigen Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Rente. Soweit die Bundesagentur für Arbeit einen Anspruchsübergang geltend gemacht habe und dieser nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 7. September 2010 (B 5 KN 4/08 R) der Bundesagentur zu erstatten sei, könne dies nicht geschehen über einen Nachzahlungsanspruch, der in dieser Höhe durch einen Rückgriff auf schon überzahlte Rente entstehe und der im Übrigen nur durch die Hilfe des § 48 SGB X konstruiert werde. Es handele sich vielmehr um eigenständige Ansprüche auf Arbeitslosengeld und auf Rente.

Mit Urteil vom 27. Oktober 2014 hob das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November 2012 auf. Zur Begründung se...

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