Entscheidungsstichwort (Thema)
Beachtung der Zehnjahresfrist
Orientierungssatz
Die Zehnjahresfrist des § 45 Abs 3 S 3 SGB 10 ist auch bei der Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung für die Zukunft zu beachten.
Verfahrensgang
SG Kassel (Urteil vom 31.03.1988; Aktenzeichen S-8/J-515/84) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 31. März 1988 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rücknahme eines Verwaltungsaktes über Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente wegen einer Änderung der Verhältnisse.
Der 1929 geborene Kläger ist gelernter Elektriker und hat in diesem Beruf bis Oktober 1970 gearbeitet. Er hatte 1969 einen Arbeitsunfall mit Verletzung der linken Hand erlitten und deshalb am 13. November 1970 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit beantragt. Im Gutachten der Sozialärztlichen Dienststelle … vom 28. Dezember 1970 (Dr. … ist ausgeführt, dass eine deutliche Schwäche der linken Hand mit mangelhaftem Faustschluss und Bewegungsstörungen bestehe. Der linkshändige Kläger könne seinen Beruf als Betriebselektriker nicht mehr ausüben. In einem Gutachten des Privatdozenten Dr. …, Neurochirurgische Universitätsklinik …, vom 15. März 1971 ist ausgeführt, dass eine Wiedereinsatzfähigkeit als Elektriker nur bei einer erfolgreichen Nachoperation denkbar sei. Mit Bescheid vom 22. März 1972 bewilligte die Beklagte Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 1970.
Mit Schreiben vom 8. Mai 1972 fragte der Kläger bei der Beklagten an, wie viel er zu der Berufsunfähigkeitsrente hinzuverdienen dürfe und wie es sich verhalte, wenn er eine Beschäftigung annehme, bei der er mehr als bisher verdiene. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 14. September 1972 mit, dass es weder eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung des Rentenempfängers gebe, die Weiterbeschäftigung oder erneute Aufnahme einer Beschäftigung dem Rentenversicherungsträger anzuzeigen noch einen gesetzlich fixierten Richtsatz, wie viel ein Empfänger von Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit hinzuverdienen dürfe. Ob eine Entziehung der Rente infrage komme, hänge von dem Einzelfall ab.
Der Kläger nahm am 1. September 1972 eine Tätigkeit als Hausmeister bei der Sparkasse … auf, die nach der Vergütungsgruppe VII des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) entlohnt wurde. Facharbeiterkenntnisse waren Einstellungsvoraussetzung. Der Kläger teilte die Beschäftigungsaufnahme der Beklagten nicht mit. Im Jahre 1976 übersandte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) einen ärztlichen Entlassungsbericht aus einem Heilverfahren vom 25. Mai 1976, den die Beklagte am 4. August 1976 ihrer ärztlichen Gutachtenprüfstelle vorlegte. Aus dem Entlassungsbericht ging hervor, dass der Kläger als Hausmeister bei einer Sparkasse tätig war.
Eine weitere Nachprüfung der medizinischen Situation fand im Jahre 1979 statt. Der medizinische Sachverständige sah in seiner Stellungnahme vom 20. Dezember 1979 keine Änderung des gesundheitlichen Zustandes und hielt auch eine Wiedervorlage nicht für nötig. Am 4. Februar 1982 teilte der Kläger auf einem von der Beklagten übersandten Anhörungsbogen mit, dass er seit September 1972 als Hausmeister bei der Sparkasse … mit einem Monatsgehalt von 1.912,57 DM arbeite. Am 5. und am 23. August 1983 gingen bei der Beklagten Antworten auf Antragen an den Arbeitgeber und die DAK … über das Beschäftigungsverhältnis des Klägers ein.
Nach entsprechender Anhörung (Schreiben vom 9. März 1984) entzog die Beklagte mit Bescheid vom 30. März 1984 die Berufsunfähigkeitsrente mit Ende Mai 1984 wegen Änderung der Verhältnisse. Den Widerspruch vom 16. April 1984 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 1984 zurück, weil seit Aufnahme der Beschäftigung als Bankangestellter am 1. September 1972 eine Berufsunfähigkeit nicht mehr bestehe. Der Kläger sei als gelernter Facharbeiter zumutbar auf diese tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zu verweisen.
Dagegen hat der Kläger am 22. November 1984 Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben. Das Gericht hat Befundberichte und medizinische Unterlagen bei den behandelnden Ärzten beigezogen und Beweis erhoben und ein schriftliches medizinisches Gutachten bei dem Arzt für Orthopädie Dr. …, vom 5. Februar 1987 eingeholt. Darin ist ausgeführt, dass sich die Befundsituation seit den 70er Jahren nicht wesentlich geändert habe. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 9. November 1987 heißt es, dass zwar eine Teil-Reinnervation der vom Nervusulnaris versorgten Muskeln eingetreten sei, daraus ergebe sich jedoch ein Gebrauchsgewinn um 5 %, maximal 10 %, so dass man nicht von einer wesentlichen, sondern lediglich von einer tendenziellen Besserung sprechen könne, da nach wie vor feinmotorisch anspruchsvolle und kraftaufwendige Tätigkeiten mit einem solchen nervengeschädigten Arm nicht in genügender ...