Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. keine Verlängerung der Frist zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit um mehr als sechs Monate. Entscheidung über Ruhen der Zulassung von Amts wegen. angemessene Frist. keine Übertragung der dreijährigen Elternzeit bei neuer Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. "Wichtige Gründe" iS des § 19 Abs 2 S 2 Ärzte-ZV für eine nachträgliche Verlängerung der Frist zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit können nur solche sein, die eine kurzfristige Verzögerung von jedenfalls nicht mehr als sechs Monaten bedingen. Bei einer längeren Verzögerung ist das Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs 5 SGB 5 iVm § 26 Abs 1 Ärzte-ZV von Amts wegen zu prüfen, bevor die weitestgehende Maßnahme der Entziehung der Zulassung nach § 95 Abs 6 SGB 5 iVm § 27 Ärzte-ZV zu ergreifen ist.
2. Ob die Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in "angemessener Frist" zu "erwarten" ist, stellen die zuständigen Gremien in einer vorausschauenden Prognoseentscheidung fest, die sie aufgrund der bekannten und zugänglichen Tatsachen zu treffen haben und die gerichtlich voll überprüfbar ist. Der Begriff der "angemessenen Frist" gem § 95 Abs 5 SGB 5 kann nicht allgemein definiert sondern nur unter Würdigung sämtlicher Umstände im Einzelfall bestimmt werden. Jedenfalls bei erstmaliger Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit besteht kein Bedürfnis, in Analogie zu § 15 Abs 2 BErzGG einen Zeitraum von bis zu drei Jahren als "angemessene Frist" für die Zeit der Kindererziehung (Elternzeit) einzuräumen.
Orientierungssatz
Eines besonderen Antrages des Vertragsarztes auf Ruhen der Zulassung gem § 95 Abs 5 SGB 5 bedarf es nicht, wenn Tatsachen, die das Ruhen der Zulassung bedingen können, bekannt werden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. Mai 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsverfahren mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 291.114,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer Zulassung als Vertragsärztin und begehrt die Verlängerung der ihr gesetzten Frist zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit bis zum 18. Juni 2006.
Die 1962 geborene Klägerin ist Fachärztin für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie. Die mit einem Kardiologen, der bislang eine wissenschaftliche Tätigkeit in B. ausübt, verheiratete Klägerin ist außerdem Mutter zweier 2000 und 2002 geborenen Söhne.
Auf ihren Antrag vom 21. Februar 2000 beschloss der Zulassungsausschuss für Ärzte (ZA) bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) am 27. Juni 2000 antragsgemäß ihre Zulassung als Internistin für den Vertragsarztsitz H. in A-Stadt, Planungsbereich Kreis K., der seinerzeit nicht gesperrt war. Der Vertragsarztsitz war auch die eigene Wohnung der Klägerin, die allerdings ab September 2000 ihren Wohnsitz unter der jetzigen Anschrift in A-Stadt nahm. Bei dem Praxissitz handelte es sich um das elterliche Wohnhaus der Klägerin. Der Beschluss des ZA vom 27. Juni 2000 enthielt den Hinweis, dass die vertragsärztliche Tätigkeit spätestens drei Monate nach Eintritt der “Rechtskraft" dieses Beschlusses aufzunehmen sei.
Dem Antrag der Klägerin vom 23. November 2000 auf Verlängerung der Frist zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit “aus familiären Gründen" bis 1. Juni 2001 entsprach der ZA mit Beschluss vom 12. Dezember 2000. Dem weiteren, mit der Notwendigkeit des Stillens des Sohnes begründeten, Fristverlängerungsantrag vom 28. Mai 2001, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erweiterte, entsprach der ZA mit Beschluss vom 26. Juni 2001 durch Fristverlängerung bis 31. Dezember 2002, wegen der erneuten Schwangerschaft der Klägerin. Einen weiteren Verlängerungsantrag vom 30. September 2002 begründete die Klägerin damit, ihren zweiten Sohn weitere neun Monate stillen zu wollen, worauf der ZA mit Beschluss vom 29. Oktober 2002 “letztmalig" eine Fristverlängerung zur Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit bis 30. September 2003 bewilligte. Schließlich stellte die Klägerin am 15. Juli 2003 den hier zugrunde liegenden Antrag auf unbestimmte Fristverlängerung, weil es ihr aufgrund privater Umstände unmöglich sei, eine Vertragsarztpraxis zu führen und gleichzeitig zwei kleine Kinder zu betreuen.
Mit Beschluss vom 12. August 2003 lehnte der ZA eine weitere Fristverlängerung ab und entzog der Klägerin die Zulassung wegen Nichtaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit gemäß § 95 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i.V.m. § 27 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV).
Zwischenzeitlich war mit Beschluss des Landesausschusses für Ärzte und Krankenkassen vom 24. April 2003 eine Zulassungssperre für Fachinternisten im Planungsbereich Landkreis K. erlassen worden.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2004, der der Klägerin am 11. März 2004 zugestellt wurde, wies der Beklagte den Widerspruch ...