Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. gleichzeitige Teilnahme an haus- und fachärztlicher Versorgung. Beurteilung des Versorgungsbedarfs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Einschätzung des Versorgungsbedarfs nach § 73 Abs 1a S 3 SGB 5 ist auf die zur Sonderbedarfszulassung nach § 101 Abs 1 S 1 SGB 5 entwickelten Grundsätze zurückzugreifen (vgl BSG vom 28.6.2000 - B 6 KA 35/99 R = SozR 3-2500 § 101 Nr 5).

2. Im Rahmen des ihnen zustehenden und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums haben die zuständigen Gremien ihre Ermittlungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen.

3. Bedarfsabhängig erteilte Ermächtigungen für Krankenhausärzte sind bei der Bedarfsermittlung außer Acht zu lassen, denn der Grundsatz des Vorranges niedergelassener Vertragsärzte bei der ambulanten Versorgung der Patienten gilt mangels entgegenstehender gesetzlicher Regelung auch im Rahmen der Beurteilung des Versorgungsbedarfs nach § 73 Abs 1a S 3 SGB 5.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16. März 2005 und der Beschluss des Beklagten vom 4. Juni 2003 aufgehoben, soweit sie nicht den Antrag des Klägers auf Sondergenehmigung für präventive Rekto-Sigmo-Koloskopie betreffen. Der Beklagte wird verurteilt, den Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats in diesem Umfang neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Beklagte hat vier Fünftel und der Kläger ein Fünftel der Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 40.500,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung des Klägers zur gleichzeitigen Teilnahme an der haus- und fachärztlichen Versorgung gemäß § 73 Abs. 1 a Satz 3 SGB V.

Der an der hausärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger ist Internist mit gastro-enterologischem Schwerpunkt. Er übt seine Praxis in A-Stadt aus. Am 2. Januar 2002 beantragte er die Genehmigung zur gleichzeitigen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung betreffend Oesophago-Gastro-Duodenoskopie, Rektosigmoidoskopie mit Polypektomie, Röntgen der Thoraxorgane und Langzeit-EKG. Zur Begründung führte er aus, dass aufgrund der besonderen Versorgungssituation im Raum A-Stadt ab 1. Januar 2003 die Sicherstellung bestimmter, vor allem gastroenterologischer, Leistungen im ambulanten Bereich nicht mehr gewährleistet seien, da nur noch eine einzige fachärztliche Kollegin diese Leistungen erbringen dürfte.

Mit Schreiben vom 4. Dezember 2002, von dem der Kläger inhaltlich Kenntnis erhielt, empfahl die Bezirksstelle Kassel der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) dem Zulassungsausschuss für Ärzte (ZA), den Antrag des Klägers abzulehnen, weil nach seiner Auffassung die vom Kläger beantragten sog. K.O.-Leistungen durch die niedergelassenen Fachärzte am Ort bzw. in der Region sichergestellt seien. Insoweit war bei der Bezirksstelle Kassel ein Schreiben des Internisten Dr. G. vom 15. November 2002 eingegangen, nach dessen Einschätzung wohl 60 bis 70 % der bisher vom Kläger mit entsprechenden Leistungen betreuten Patienten im Falle der Ablehnung seines Antrages andere Internisten in der Umgebung von A-Stadt aufsuchen würden. Demgegenüber befürwortete Frau Dr. L. mit ihrem Schreiben vom 6. November 2002 den Antrag des Klägers, weil ein Ausbau der eigenen Kapazitäten nur noch in geringem Umfang möglich gewesen sei.

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2002 lehnte der ZA den Antrag des Klägers ab, weil eine bedarfsgerechte fachärztliche Versorgung durch die niedergelassenen Fachärzte am Ort bzw. in der Region nach der Stellungnahme der Bezirksstelle Kassel der KVH gewährleistet sei.

In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren bekräftigte die Bezirksstelle Kassel der KVH mit Schreiben vom 4. Juni 2003 ihre ablehnende Haltung zum Antrag des Klägers, weil den Patienten der am gleichen Ort praktizierenden Fachärztin Dr. L. im Verhinderungsfall zumutbar sei, die beiden nächstgelegenen internistischen Praxen im Umkreis von etwa 12 bis 15 km aufzusuchen. Hinzu komme, dass in K. und F. weitere fachärztliche Internisten niedergelassen seien, deren Praxen nur etwas mehr als 30 km entfernt lägen, die aber für die Versorgung von Patienten, die außerhalb von A-Stadt wohnten, eine Rolle spielen könnten.

Mit Beschluss vom 4. Juni 2003 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Nach der unwidersprochenen Stellungnahme der Bezirksstelle Kassel der KVH besitze der Kläger keine Genehmigung zur Erbringung koloskopischer Leistungen, weshalb der Widerspruch insoweit schon deshalb unbegründet sei. Für die übrigen beantragten Leistungen habe es keiner befristeten Ausnahmeregelung im Sinne des § 73 Abs. 1 a Satz 3 SGB V bedurft, weil die bedarfsgerechte Versorgung im Sinne des Gesetzes nach der Stellungnahme der Bezirksstelle Kassel der KVH sichergestellt sei. Diese Leistungen würden in A-Stadt selbst von der Gemeinschaftspraxis Dres. L. und von dem Internisten Dr. G. ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge