Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer Zeit der Kindererziehung als Kindererziehungszeit bzw. Berücksichtigungszeit ab Aufnahme des Kindes in den Haushalt
Orientierungssatz
1. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB 6 sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung des Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren.
2. Nach § 57 S. 1 SGB 6 ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem 10. Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen.
3. Die Aufnahme des Kindes in einen Haushalt indiziert sowohl bei leiblichen als auch bei Adoptiveltern den Tatbestand der Erziehung.
4. Erst mit der Aufnahme eines Adoptivkindes in den Haushalt beginnt die tatsächliche Erziehung. Die Elterneigenschaft allein genügt nicht, wenn tatsächlich keine Erziehung erfolgt ist.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. September 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung zusätzlicher Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
Die 1948 geborene Klägerin hat zusammen mit ihrem 2002 verstorbenen Ehemann zwei Kinder: die 1969 geborene (leibliche) Tochter C. und den 1972 geborenen Sohn D., den sie adoptiert haben. Ihre Tochter erzog die Klägerin von Geburt an; am 28. September 1975 nahm sie ihren Sohn D. in ihre Familie zur Pflege auf mit dem Ziel einer späteren Adoption.
Auf ihren Rentenantrag vom 24. Juni 2014 hin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 die Regelaltersrente beginnend ab dem 1. Juni 2014 mit einem monatlichen (Aus-) Zahlungsbetrag von 118,01 € fest. Der Rentenberechnung lagen 3,4789 Entgeltpunkte für Beitragszeiten sowie 0,0552 Punkte für beitragsfreie Zeiten und 0,4321 Punkte als zusätzliche Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten zugrunde. Aufgrund des Rentenbeginns erst zum 1. Juni 2014 erhöhte sich der Zugangsfaktor von 1,000 auf 1,040, woraus letztlich 4,1248 persönliche Entgeltpunkte resultierten. Dabei berücksichtigte die Beklagte die Zeit vom 1. September 1969 bis 31. August 1971 als Kindererziehungszeit (für die Tochter C.) und bewertete diese mit 1,9992 Entgeltpunkten. Für die Erziehung des Sohnes D. wurde die Zeit vom 28. September 1975 bis 16. August 1982 (entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten vom 18. Mai 2005) als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung in die Rentenberechnung einbezogen, hingegen keine Kindererziehungszeit bzw. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vor dem 28. September 1975.
Mit ihrem Widerspruch dagegen machte die Klägerin neben einem früheren Rentenbeginn geltend, dass auch die ersten drei Lebensjahre ihres Sohnes als Kindererziehungszeit zu berücksichtigen seien. Bei der Adoption habe es sich um eine sogenannte Spätadoption im Alter von drei Jahren gehandelt. Sie fühle sich hinsichtlich der Kindererziehungszeiten benachteiligt und diskriminiert. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang, dass die Anrechnung bei keinem weiteren Berechtigten infrage komme. Die Gesetzeslage zur Adoption habe es damals so vorgesehen, dass es erst nach drei Jahren zu einer Adoption kommen konnte, wenn sich die leiblichen Eltern nicht kümmerten und unbekannten Aufenthalts gewesen seien. In der Zeit bis zur Adoption sei sie als adoptionswillig angesehen worden, die Zeit sei nicht als Pflegschaft vergütet worden. Vom Jugendamt erwünscht gewesen seien Eltern, von denen nur ein Elternteil berufstätig gewesen sei. Sie sehe in der fehlenden Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung im Vergleich zu leiblichen Kindern.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe ihren Sohn D. erst am 28. September 1975 in ihren Haushalt aufgenommen. Insoweit liege für die Zeit vom 17. August 1972 bis 27. September 1975 keine Erziehung vor, so dass keine Anerkennung als Kindererziehungszeit oder Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung erfolgen könne.
Am 3. Juni 2015 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Kassel erhoben, mit der sie ihren Vortrag wiederholte und insbesondere auf die besonders schwierige Erziehungssituation bei Spätadaption hinwies.
Mit Urteil vom 8. September 2016 hat das Sozialgericht Kassel die Klage sowohl hinsichtlich des Ziels einer Berücksichtigung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten für die Zeit ab Geburt als auch eines Rentenbeginns bereits ab dem 1. Oktober 2013 abgewiesen. Zur Begründung verwies es darauf, dass Kindererziehungszeiten für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt endeten. Bei Pflege- und Adoptiveltern seien nur Erziehungszeiten berücksichtigungsfähig, die in diesen Zeitraum fielen. Die Aufnahme des Kin...