Leitsatz (amtlich)

Einem selbständigen Landwirt steht nach einem Arbeitsunfall während der dadurch bedingten Arbeitsunfähigkeit auch dann Verletztengeld zu, wenn ihm aus einer nebenberuflichen unselbständigen Tätigkeit Arbeitsentgelt weiter gewährt wird.

 

Normenkette

RVO § 560 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Kassel (Urteil vom 03.10.1968)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Verfahrenskosten zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der am … 1930 geborene Kläger erlitt am 3. September 1966 dadurch einen Arbeitsunfall in seiner Landwirtschaft, daß ihm die Ackerschiene eines Schleppers auf den rechten Fuß fiel. Dadurch zog er sich eine schwere Quetschung des rechten Vorfußes sowie eine Großzehenfraktur zu und war bis zum 16. Oktober 1966 arbeitsunfähig krank. Der Kläger war außer als selbständiger Landwirt noch 4 Stunden täglich als Angestellter bei der Raiffeisenkasse in N. tätig und hatte einen Anspruch auf Fortzahlung seines Gehaltes in Höhe von 390,– DM monatlich für die Dauer von 6 Wochen nach dem Unfall. Die Deutsche Angestellten-Krankenkasse teilte der Beklagten am 8. November 1966 mit, daß der Anspruch des Klägers auf Krankengeld wegen der Gehaltsfortzahlung bis zum 15. Oktober 1966 geruht habe. Das ihm für den 16. Oktober 1966 gezahlte Krankengeld in Höhe von 10,50 DM wurde ihr von der Beklagten erstattet.

Mit Bescheid vom 20. März 1967 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld mit der Begründung ab, der Bezug von Arbeitsentgelt schließe einen Anspruch auf Verletztengeld aus, wenn ersteres die Höhe des Verletztengeldes erreiche oder übersteige. Dies sei hier der Fall, weil das aus dem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von 4.500,– DM zu berechnende Verletztengeld niedriger wäre als das Arbeitsentgelt in Höhe von 390,– DM monatlich. Das ihm nach dem Wegfall der Gehaltsfortzahlung für den 16. Oktober 1966, den letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit, noch zustehende Krankengeld sei ihm von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse ausgezahlt worden. Da sein Anspruch auf Verletztengeld nicht höher gewesen sei als das Krankengeld, bestehe kein Anspruch auf Zahlung eines Verletztengeldes oder eines Unterschiedsbetrages.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 18. April 1967 beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben, das mit Urteil vom 3. Oktober 1968 für Recht erkannt hat:

„Der Bescheid vom 20.3.1967 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nach dem Unfall vom 3. September 1966 Verletztengeld, berechnet nach § 561 Abs. 3 RVO, zu gewähren. Dem Kläger hat die Beklagte dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.”

Dem Kläger sei unabhängig vom Entgelt aus der unselbständigen Tätigkeit das Verletztengeld nach dem für selbständige Landwirte festgesetzten JAV zu gewähren, weil es sich um eine Teilzeitbeschäftigung gehandelt habe, die neben der Tätigkeit als selbständiger Landwirt voll ausgeübt worden sei. Der Gesetzgeber habe mit der Gewährung von Verletztengeld eine volle Entschädigung beabsichtigt.

Gegen das ihr am 11. Oktober 1968 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. November 1968 Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, die vom Sozialgericht gegebene Deutung des Wortes „soweit” in § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO sei weder sprachlich zwingend noch sachlich zutreffend und stehe im Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen, die nur eine einheitliche Verletztengeldleistung vorsähen. Dies ergebe sich zwingend daraus, daß das Gesetz neben dem Regel- oder Grundlohn aus der Krankenversicherung auch die Jahresarbeitsverdienste aus der gesetzlichen Unfallversicherung erörtere und diesen dabei für bestimmte Fälle rechtliche Bedeutung beigebe.

§ 561 Abs. 1 RVO regele abschließend die Verletztengeldansprüche des Personenkreises, der krankenversichert ist. Das Verletztengeld richte sich dabei nach dem Regel- oder Grundlohn der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Gesetzgeber habe dabei notwendigerweise auch erkannt, daß durch den Arbeitsunfall der Verletzte mehrfach betroffen werden könne, nämlich z.B. als Arbeitnehmer oder Unternehmer. Dennoch habe er nicht kumulative Verletztengeldansprüche zugelassen.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Oktober 1968 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er trägt u.a. vor, er sei täglich nebenberuflich nur 4 Stunden, hauptberuflich jedoch als Landwirt während der Bestellungs- und Erntezeit bis zu 10 Stunden täglich tätig. Die Auffassung der Beklagten, daß er im Hinblick auf seine Tätigkeit als Landwirt kein Verletztengeld erhalten solle, betrachte er als unsozial und nicht annehmbar.

Im übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die durch...

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