Entscheidungsstichwort (Thema)

Sperrzeit. Auflösungsvertrag. Kündigungsfrist. Antragstellung. Arbeitslosengeld. Sozialleistungen. Antragsrücknahme. Verzicht

 

Leitsatz (amtlich)

Lösen die Arbeitsvertragsparteien ein bereits vom Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gekündigtes Arbeitsverhältnis zu einem vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist liegenden Zeitpunkt unter Zahlung einer Abfindung vorzeitig auf, so tritt eine Sperrzeit nach § 119 AFG jedenfalls dann nicht ein, wenn der Arbeitslose erst für die Zeit nach Ablauf der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigungsfrist Arbeitslosengeld beantragt. Eine Minderung des Leistungsanspruchs nach § 110 Nr. 2 AFG scheidet unter diesen Voraussetzungen gleichfalls aus. Auch eine nachträgliche Antragsrücknahme hinsichtlich des Zeitraums bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist kann dieses Ergebnis bewirken.

 

Normenkette

AFG §§ 119, 110 Nr. 2, § 117 Abs. 2; SGB I § 46 Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 17.12.1996; Aktenzeichen S-12/Ar-1482/96)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.09.2001; Aktenzeichen B 7 AL 4/01 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 17. Dezember 1996 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1996 insoweit aufgehoben, als sie Rechtsfolgen zu Lasten des Klägers für die Zeit über den 31. Mai 1996 hinaus beinhalten.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 1. Juni 1996 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens sowie zwei Drittel der Kosten der 1. Instanz zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist in der Berufungsinstanz noch streitig, ob dem Kläger für die Zeit vom 1. bis 11. Juni 1996 Arbeitslosengeld zusteht und ob der Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit eine Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld über die Dauer der Sperrzeit hinaus zur Folge hat.

Der Kläger ist am … geboren. Er war seit dem 14. Juni 1976 bei Fa. … S. …, beschäftigt. Zuletzt war er dort als Betonbauer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTVB) Anwendung.

Der Kläger erzielte in den bis zum 31. Januar 1996 abgerechneten letzten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses – ohne einmalige Zuwendungen – folgende Bruttoarbeitsentgelte:

Juli 1995

4.287,40 DM

August 1995

3.880,85 DM

September 1995

3.733,99 DM

Oktober 1995

4.065,74 DM

November 1995

3.692,03 DM

Dezember 1995

3.429,78 DM

23.089,79 DM.

Mit Schreiben vom 27. November 1995 kündigte Fa. S. das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Wirkung zum 31. Mai 1996. Die Rückfrage des Arbeitsamtes Gießen beim seinerzeitigen Arbeitgeber des Klägers ergab, daß diese Kündigung aus Arbeitsmangel erfolgt war. Im Anschluß an das Kündigungsschreiben wurde dem Kläger ein schriftlicher Vorschlag für den Abschluß eines Aufhebungsvertrages zugeleitet. Dieser auf den 9. Dezember 1995 datierte Vertragsentwurf sah ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 1996 gegen Zahlung einer Abfindung vor. Die Höhe der vorgesehenen Abfindung war in diesem schriftlichen Vertragsentwurf nicht aufgenommen. Nach dem Vortrag des Klägers war von Seiten des damaligen Arbeitgebers des Klägers ein Abfindungsbetrag in Höhe von 10.000,– DM vorgesehen gewesen.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 1995 schlugen die heutigen Prozeßbevollmächtigten des Klägers Fa. S. ihrerseits den Abschluß eines Aufhebungsvertrages vor. In dem übersandten Vertragsentwurf war gleichfalls der 31. Januar 1996 als Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorgesehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sollte gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 34.000,– DM erfolgen. Unter dem Datum des 11. Dezember 1995 wurde dieser Auflösungsvertrag sowohl vom Klägers als auch von Fa. S. KG unterzeichnet.

Am 22. Januar 1996 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 1. Februar 1996 arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld.

Am 20. Februar 1996 ergingen durch die Beklagte drei Bescheide mit folgendem Inhalt:

  1. Bescheid über eine 12-wöchige Sperrzeit für den Bezug von Arbeitslosengeld in der Zeit vom 1. Februar 1996 bis zum 24. April 1996 und der damit einhergehenden Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um 169 Tage. Dieser Bescheid wurde damit begründet, der Kläger habe seine Beschäftigung bei der Fa. … S. selbst aufgegeben. Zwar habe der ehemalige Arbeitgeber des Klägers eine Kündigung ausgesprochen. Diese Kündigung sei vom Kläger hingenommen worden. Tatsächlich habe es sich dabei jedoch um eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber gehandelt. Denn einer rechmäßigen Kündigung durch den Arbeitgeber hätten Kündigungsschutzbestimmungen entgegengestanden, auf deren Einhaltung der Kläger gegen Zahlung einer Abfindung verzichtet habe. Ohne diesen Verzicht habe das Arbeitsverhältnis nicht zum ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge