Entscheidungsstichwort (Thema)

erhebliche Gehbehinderung

 

Leitsatz (amtlich)

Im Gegensatz zum Nachteilsausgleich „aG” bedarf es für die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches „G” nicht einer dauernden, d.h. ständigen Bewegungseinschränkung. Es reicht vielmehr aus, wenn der Behinderte an ca. 40 % der Tage in seiner Gehfähigkeit und Orientierungsfähigkeit eingeschränkt ist, sodaß er insoweit nur noch kurze Fußstrecken weit unter 2.000 m mit zusätzlichen Pausen sowie weit über einer halben Stunde zurücklegen und sich in diesem Sinne zeitweise nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.

 

Normenkette

SchwbG § 60

 

Verfahrensgang

SG Gießen (Urteil vom 15.11.1995; Aktenzeichen S-10/Vb-1915/94)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 15. November 1995 sowie die Bescheide des Beklagten vom 10. März 1994 und 25. Juli 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 1994 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 60 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches „erhebliche Gehbehinderung” festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).

Der 1951 geborene Kläger stellte am 23. August 1993 einen Antrag auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz. Der Beklagte zog Befundberichte und medizinische Unterlagen der behandelnden Ärzte bei und stellte mit Bescheid vom 10. März 1994 unter Anerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 20 als Behinderungen

degenerative Veränderungen und Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule, Schuppenflechte mit Gelenkbeteiligung sowie nervöse Störungen

fest. Dagegen erhob der Kläger am 31. März 1994 Widerspruch. Aufgrund weiterer beigezogener Befundberichte, insbesondere von der Deutschen Klinik für Diagnostik, Wiesbaden, aus dem Jahre 1993 und 1994 erließ der Beklagte am 25. Juli 1994 einen Abhilfebescheid über einen GdB von 50 und erkannte als Behinderungen nunmehr an:

  1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenschädigungen und Bewegungseinschränkungen, Reizerscheinungen.
  2. Schuppenflechte mit Gelenkbeteiligung und Knochenumbauprozessen bei Notwendigkeit der Immunsuppression.
  3. Nervöse Störungen.

Den wegen der Gewährung des Nachteilsausgleichs „G” aufrecht erhaltenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. November 1994 zurück, nachdem er ein Gutachten des Orthopäden Dr. … für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 9. März 1994 nebst einem Befundbericht vom 15. September 1994 ausgewertet hatte.

Dagegen hat der Kläger am 6. Dezember 1994 Klage vor dem Sozialgericht in Gießen erhoben. Er weist insbesondere auf die von ihm zu erleidenden erheblichen Schmerzen hin, die Auswirkungen auf das Gehvermögen hätten. Das Sozialgericht hat aus dem Rechtsstreit S-4/An-1166/94 gegen die BfA die Gutachten des Dr. … des Internisten Dr. … vom 22. Juli 1993, des Nervenarztes Dr. … vom 7. September 1993, des Anästhesiologen Dr. … vom 5. März 1995 und ein Entlassungsgutachten der Rheumaklinik … vom 21. Oktober 1994 beigezogen. Mit Urteil vom 15. November 1995 hat das Sozialgericht die Klage auf Gewährung des Nachteilsausgleiches „G” abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß aus den umfangreichen medizinischen Unterlagen und Gutachten keine Befunde zu entnehmen seien, die eine erhebliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit begründen könnten. Auch die aufgetretenen Schmerzen und die geltend gemachten Schwindelerscheinungen rechtfertigten dies nicht.

Gegen das am 12. Dezember 1995 zur Post aufgelieferte Urteil hat der Kläger am 19. Dezember 1995 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der er einen höheren GdB und die Gewährung des Nachteilsausgleiches „G” begehrt. Der Senat hat Beweis erhoben und auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ein anästhesiologisches Gutachten bei Dr. … vom 19. November 1997 eingeholt. Der Sachverständige kommt im wesentlichen zu den gleichen Befunden wie schon in seinem Gutachten vom 5. März 1995. Es beständen in ca. 60 bis 70 % der Nächte erhebliche Schmerzen an Armen und Beinen mit einer Stärke von ca. 7 cm auf der VAS (Visuelle Analogskala, 0 cm kein und 10 cm maximaler Schmerz), Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und Konzentrationsstörungen mit Beeinträchtigung des Gehvermögens. Daneben lägen seelische Begleiterscheinungen, Kreuz- und Rückenschmerzen bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp mit Schwindel und Ohrgeräuschen vor. Die Arm- und Beinschmerzen bewirkten einen GdB von 50, die übrigen Behinderungen von jeweils 20; zusammengefaßt betrage der Gesamt-GdB 60. An ca. 40 % der Tage könne der Kläger im Ortsverkehr übliche Fußwegstrecken nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten und nic...

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