nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Kausalität. Kann-Versorgung. keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. Schutzimpfung. Autoimmunprozess. Diabetes-mellitus-Typ I-Erkrankung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die teilweise vermutete Assoziation zwischen dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen, z. B. von Diabetes mellitus Typ I und Impfungen ist im Rahmen großer epidemiologischer Studien nicht nur nicht bestätigt, sondern widerlegt worden.
2. Der Umstand, dass die Erkrankung des Klägers an Diabetes mellitus Typ I kurze Zeit nach der letzten erhaltenen Impfung diagnostiziert wurde, kann einen ursächlichen Zusammenhang im Sinne der Wahrscheinlichkeit zwischen dem Impfvorgang und dem Krankheitseintritt nicht begründen.
3. Der Anspruch auf Versorgung ist allerdings, sowohl im Hinblick auf § 81 Abs. 6 S. 1 SVG – „Pflichtleistung” – wie auch auf § 81 Abs. 6 S. 2 SVG – „Kannleistung” – zu prüfen. Der Anspruch auf Versorgung ist ein einheitlicher, über ihn ist auch einheitlich zu entscheiden.
Leitsatz (amtlich)
Nach derzeitiger Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft besteht keine kausale Verbindung zwischen durch Impfungen ausgelösten Autoimmunprozessen und der Entstehung eines Diabetes-mellitus-Typ I-Leidens. Damit scheiden Impfungen auch als Anknüpfungspunkt für eine Kann-Versorgung nach dem SVG aus, wenngleich über die Ätiologie und Pathogenese der Diabetes-mellitus-Typ I-Erkrankung noch kein umfassendes Wissen besteht.
Normenkette
SVG § 81 Abs. 1, § 85 Abs. 1; BVG § 30 Abs. 1, § 31
Verfahrensgang
SG Marburg (Entscheidung vom 05.12.2001; Aktenzeichen S 1 VS 306/97) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 5. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines bei dem Kläger aufgetretenen Diabetes mellitus Typ I-Leidens als Wehrdienstbeschädigung im Sinne des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1963 geborene Kläger ist seit 2. April 1984 Soldat bei der Bundeswehr. Er war in der Zeit vom 23. Dezember 1992 bis zum 9. März 1993 als Angehöriger des Feldjägerbataillons 740 im Rahmen der Vorsorge für einen in Somalia geplanten Auslandseinsatz auf der Grundlage dienstlicher Anordnung gegen tropische Krankheiten geimpft worden, und zwar gegen Gelbfieber (23. Dezember 1992), Typhus (oral verabreichte Impfungen am 23. Dezember, 25. Dezember, 27. Dezember 1992), Hepatitis A (30. Dezember 1992, 13. Januar 1993), Poliomyelitis (5. Januar 1993) und Hepatitis B (21. Januar 1993, 9. März 1993). Vom 10. März bis 2. April 1993 war der Kläger stationär im Bundeswehrkrankenhaus Gießen behandelt worden, wo die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ I gestellt wurde. In dem Entlassungsbericht dieser Klinik vom 10. Mai 1993 heißt es, seit Januar 1993 habe der Patient über zunehmende Gewichtsabnahme geklagt. Anfang Januar habe das Körpergewicht noch bei 80 Kilogramm gelegen, bis zur stationären Aufnahme sei eine Gewichtsreduktion von insgesamt 12 Kilogramm eingetreten. Weiter habe der Patient angegeben, Mitte Februar einen fieberhaften Infekt gehabt zu haben mit Temperaturen bis 38 Grad C. Seit einer Woche habe eine massiv erhöhte Flüssigkeitsaufnahme von bis zu vier Litern Flüssigkeit pro Tag und eine entsprechend erhöhte Flüssigkeitsausscheidung sowie allgemeine Krankheitssymptome in Form von Kopfschmerzen, Leistungsminderung bestanden. Laut Entlassungsbericht wurde laborchemisch die anfängliche Verdachtsdiagnose eines Diabetes mellitus Typ I bestätigt. Eine durchgeführte Bestimmung der HLA-Antigene DR 3 und DR 4, die positiv ausfiel, wurde in dem Entlassungsbericht dahingehend gedeutet, beim Kläger sei eine familiäre Disposition für eine Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I gegeben. Aufgrund einer ersten ärztlichen Mitteilung des Stabsarztes über eine mögliche Wehrdienstschädigung vom 10. April 1993 stellte das Bundeswehrgebührnisamt V, Stuttgart, Ermittlungen an und holte eine Auskunft des Disziplinarvorgesetzten dazu ein, ob der Kläger besonderen Belastungen ausgesetzt war, was dieser verneinte. Ferner wurden Krankenunterlagen, insbesondere die Einlegekarten zur G-Karte des Klägers, der Entlassungsbericht der Diabetes-Klinik A-Stadt vom 19. Juli 1993 über die stationäre Behandlung des Klägers vom 18. Mai bis 28. Mai 1993, ein weiterer Entlassungsbericht des Bundeswehrkrankenhauses B-Stadt, Innere Medizin vom 6. Juli 1993 über eine weitere stationäre Behandlung vom 1. Juni bis 9. Juni 1993 beigezogen. Nach dem Entlassungsbericht vom 6. Juli 1993 war die Zuckerkrankheit in eine Remissionsphase eingetreten und eine rein diätetische Behandlung ohne Insulinverabreichung erschien ausreichend. Als weitere Diagnose war eine Hyperlipidämie gestellt worden. Nach Beiziehung einer Auflistung der verabreichten Impfungen, der ...