Leitsatz (amtlich)

Ein Empfänger von Erwerbsunfähigkeitsrente, der vom Versicherungsträger im Rahmen der Berufsförderung gemäß § 1237 Abs. 3 c RVO aufgefordert wird, sich dem Rehabilitationsteam des zuständigen Arbeitsamtes zur Erlangung eines bereits in Aussicht genommen Arbeitsplatzes vorzustellen, steht auf dem Rückweg vom Arbeitsamt nicht unter Unfallversicherungsschutz.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nrn. 4, 14

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 04.06.1969)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 4. Juni 1969 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Ehemann der Klägerin, der am 13. November 1936 geborene K.-H. H. (H.), war wegen Kinderlähmungsfolgen in seinem früheren Beruf als Schreiner berufsunfähig und bezog von der Landesversicherungsanstalt Hessen (LVA) Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die LVA beabsichtigte Berufsförderungsmaßnahmen gemäß § 1237 der Reichsversicherungsordnung (RVO) durchzuführen und bat mit Schreiben vom 17. Dezember 1964 das Arbeitsamt H. unter Bezugnahme auf die mit dem Landesarbeitsamt Hessen getroffenen Vereinbarungen um Überprüfung, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen angezeigt seien. Mit Schreiben vom 25. Januar 1965 bat daraufhin das Arbeitsamt H. H., am 3. Februar 1965 „zu einer Arbeitsberatung und arbeitsamtsärztlichen Untersuchung” vorzusprechen. Er wurde an diesem Tag dem Rehabilitationsteam dieses Arbeitsamtes vorgestellt. In der Zwischenzeit hatte sich der Bürgermeister von W. bereit erklärt, H. als Telefonist einzustellen. Hierfür waren noch kleinere Umbauten im Rathaus vorzunehmen. Um diesen Arbeitsplatz zu sichern, wurde H. am 3. Februar 1965 anläßlich seiner Vorsprache beim Arbeitsamt gebeten, auf der Heimfahrt die Bezirksfürsorgestelle des Landkreises G. aufzusuchen und dort einen Antrag auf Gleichstellung mit den Schwerbeschädigten nach § 2 des Schwerbeschädigtengesetzes zu stellen. Bei der Heimfahrt verunglückte er zwischen H. und G. tödlich. Das Arbeitsamt H. teilte dem Landesarbeitsamt Hessen am 20. Juli 1965 mit, H. sei weder als arbeitsuchend noch arbeitslos gemeldet gewesen und habe wegen seiner Körperbehinderung dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden.

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerinnen auf Gewährung von Hinterbliebenenrente mit Bescheid vom 21. März 1966 ab, weil die Voraussetzungen für den Unfallversicherungsschutz gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 4 RVO nicht gegeben seien. H. habe der Meldepflicht nach dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) nicht unterlegen und auch nicht an einer Maßnahme im Sinne des § 654 Nr. 2 RVO teilgenommen.

Gegen diesen Bescheid haben die Klägerinnen am 1. April 1966 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben. Dieses hat mit Urteil vom 4. Juni 1969 den Bescheid vom 21. März 1966 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin und deren Kindern Hinterbliebenenrente zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Bestimmungen der §§ 179 AVAVG, 539 Abs. 1 Nr. 4 RVO seien extensiv auszulegen. Bei der Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen nach § 1240 RVO unterlägen die Rehabilitanten der Meldepflicht nach dem AVAVG im weiteren Sinne. Eine entsprechende extensive Auslegung der Meldepflichtbestimmung sei unumgänglich, weil die rein formale rechtstechnische Anwendung des Gesetzes durch die Beklagte unbillig sei.

Gegen das ihr am 8. August 1969 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. August 1969 Berufung eingelegt. Sie führt u.a. aus, der Auffassung des Sozialgerichts, die Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 4 RVO sei bei extensiver Auslegung im vorliegenden Fall anzuwenden, könne nicht gefolgt werden. H. sei nämlich weder als arbeitsuchend noch als arbeitslos gemeldet gewesen, weil er wegen seiner Körperbehinderung dem Arbeitsmarkt nicht zu Verfügung gestanden habe. Versicherungsschutz komme nur nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO in Betracht. Für derartige Maßnahmen sei die Beklagte jedoch nur unter der Voraussetzung des § 654 Nr. 2 RVO in Verbindung mit § 766 RVO zuständig. Bei der beabsichtigten Eingliederung des H. habe es sich jedoch nicht um eine Maßnahme der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sondern um eine solche der LVA gehandelt, die als Sachkostenträger das Arbeitsamt H. gemäß § 1240 RVO beteiligt gehabt habe. Deshalb komme nur der für derartige Maßnahmen der LVA zuständige Versicherungsträger, nämlich die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, in Betracht.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt a.M. vom 4. Juni 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die im Berufungsverfahren beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hat keinen Antrag gestellt. Sie führt u.a. aus, sie habe den Klägerinnen nicht gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 14 RVO Leistungen zu gewähren, weil H. nicht von der LVA in einer Umschulungsstätte als Lernender aus- oder for...

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