Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung Hessen. Auslegung der Ausnahmeregelung nach Ziff 6.3 des Honorarverteilungsvertrages. Ausnahme vom Regelleistungsvolumen unter Berücksichtigung der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Rechtswidrigkeit des Honorarverteilungsvertrages als Normsetzungsvertrag. keine notwendige Beiladung der Landesverbände der Krankenkassen sowie der Verbände der Ersatzkassen. Vorliegen einer echten Spezialisierung. Anknüpfung an BSG-Rechtsprechung
Leitsatz (amtlich)
1. Angesichts des ausdrücklich auf Sicherstellungsgründe beschränkten Wortlauts kann die Ausnahmeregelung der Ziff 6.3 Honorarverteilungsvertrag (HVV) weder iS einer allgemeinen Ausnahmeregelung verstanden, noch kann das Fehlen einer generalklauselartigen Härtefallregelung im Wege ergänzender Auslegung in den HVV hineininterpretiert werden (Anschluss an BSG vom 29.11.2006 - B 6 KA 43/06 B).
2. Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG erfordert eine Ausnahme vom Regelleistungsvolumen außer für den im HVV 2005 geregelten Fall einer Sicherstellungsproblematik auch dort, wo sich innerhalb einer Arztgruppe bereits vor Inkrafttreten der Regelungen über die Regelleistungsvolumina Ärzte mit Leistungen in zulässiger Weise spezialisiert hatten und dieses spezifische Leistungsangebot durch das Regelleistungsvolumen der Fachgruppe, der sie zugeordnet sind, nicht leistungsangemessen abgedeckt wird.
3. Der HVV ist als Normsetzungsvertrag insoweit rechtswidrig und teilweise nicht zustande gekommen iS des § 89 Abs 1 S 1 SGB 5, weil er eine regelungsbedürftige und durch Auslegung nicht zu schließende Lücke enthält, die von den Vertragspartnern des HVV zu schließen ist.
Orientierungssatz
1. Die Neufassung des § 85 Abs 4 S 2 SGB 5 durch Art 1 Nr 64 Buchst h des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) hat nichts daran geändert, dass die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen (seit dem 1.7.2008: die Ersatzkassen) auch in solchen Honorarstreitverfahren, in denen inzident über die Geltung des HVV gestritten wird, nicht notwendig beizuladen sind.
2. Für die Frage, wann eine echte Spezialisierung vorliegt, welche im Rahmen des Regelleistungsvolumens die Notwendigkeit einer Ausnahmeregelung begründet, kann an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu ähnlichen Problemlagen angeknüpft werden (vgl zB BSG vom 22.3.2006 - B 6 KA 80/04 R = SozR 4-2500 § 87 Nr 12).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 6. Februar 2008 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 28. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Februar 2007 verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Klägerin hat die Verfahrenskosten erster Instanz zu ¾, die Beklagte zu ¼ zu tragen.
Die Verfahrenskosten zweiter Instanz tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Die Revision wird zu gelassen.
Der Streitwert wird für das Verfahren erster Instanz auf 10.000,00 €, für das Verfahren zweiter Instanz auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung einer Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens nach dem Honorarverteilungsvertrag der Beklagten für die Quartale II/05 - I/07.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt, bestehend aus zwei Ärzten. Frau Dr. med. L.-S. ist seit 1. Juli 1996 als Fachärztin für Chirurgie/Gefäßchirurgie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen, Herr Dr. med. M. seit dem 1. April 2002 als Facharzt für Chirurgie/Gefäßchirurgie; seit diesem Zeitpunkt bestand auch die Gemeinschaftspraxis. Beide Ärzte waren in einem Praxiszentrum für Gefäßkrankheiten in Praxisgemeinschaft mit zwei Fachärzten für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Angiologie tätig. Sie verfügen beide über die Genehmigung zur Sonographie in der Gefäßdiagnostik sowie zum ambulanten Operieren. Frau Dr. med. L.-S. besitzt ferner die Genehmigung zur Abrechnung von Leistungen nach der Ziffer 02311 EBM 2000plus (Behandlung des diabetischen Fußes). Nach dem Honorarverteilungsvertrag der Beklagten war die Klägerin der Arzt-/Fachgruppe der Fachärzte für Chirurgie zugeordnet und gehörte damit der Honorargruppe B 2.3 an. Mit Wirkung zum 1. April 2007 hat sich die Gemeinschaftspraxis getrennt.
Am 16. Februar 2006 beantragte die Klägerin zusammen mit den weiteren Ärzten der Praxisgemeinschaft, ihr das Regelleistungsvolumen für fachärztlich-invasiv tätige Internisten mit dem Schwerpunkt Angiologie zuzuerkennen und die Fallzahl zu erhöhen. Sie trug vor, das Praxiszentrum für Gefäßkrankheiten betreue jährlich ambulant und stationär ca. 14.000 Patienten. Mit Einführung des neuen EBM und insbesondere eines geänderten HVV sei es bei den angiologisch tätigen Gefäßchirurgen zu einem dramatischen Einbruch der abrechenbaren Fallpunktzahl gekommen, der im Quartal II/05 mit einer Stützungsmaßnahme von 70.000,00 € lediglic...