Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge mit einer Altersrente durch den Rentenversicherungsträger. Nachweis von Hilfebedürftigkeit. Pfändungsfreigrenzen. Ermessen
Orientierungssatz
1. Der Rentenversicherungsträger kann mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Rentenempfänger mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB 1 die Aufrechnung zulässig ist.
2. Die Verrechnung mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen und mit Beitragsansprüchen gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen ist bis zu deren Hälfte zulässig, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig i. S. der Vorschriften des SGB 12 oder des SGB 2 wird.
3. Auf die Pfändungsfreigrenzen der §§ 850 ff. ZPO kann sich der Rentenempfänger nicht berufen. Diese Schuldnerschutzbestimmungen finden bei der Verrechnung von laufenden Sozialleistungen mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen keine Anwendung.
4. Der Verrechnungsbescheid muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. Er muss diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Verwaltungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Dabei ist nicht zu beanstanden, wenn das öffentliche Interesse bzw. das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Entrichtung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge höher bewertet wird als das Interesse des Rentenempfängers an einer weitgehend ungeschmälerten Auszahlung seiner Altersrente, vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 4 RA 42/94.
Normenkette
SGB I § 51 Abs. 2, §§ 52, 39 Abs. 1; SGG § 54 Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 26. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine seitens der Beklagten zugunsten der beigeladenen AOK Hessen wegen rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge vorgenommene Verrechnung.
Die Beklagte bewilligte der 1950 geborenen Klägerin auf entsprechenden Antrag durch in der Sache bindend gewordenen Bescheid vom 30. Juli 2010 (Bl. 37 Rentenakten) für die Zeit ab 1. August 2010 eine Altersrente für Frauen mit einem Zahlbetrag in Höhe von 449,32 € monatlich.
Aufgrund einer vorgemerkten Verrechnungsermächtigung der Beigeladenen vom 11. Januar 1995 (Bl. 67, 65 Rentenakten) über rückständige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 6.874,99 € (Hauptforderung bezüglich der Zeit vom 1. November 1981 bis zum 14. Januar 1982) nahm die Beklagte nach vorheriger Anhörung durch Bescheid vom 17. Januar 2011 (Bl. 78 Rentenakten) für die Zeit ab 1. März 2011 in Höhe von 224,66 € monatlich eine Verrechnung mit der laufenden Rentenzahlung vor.
Die Klägerin erhob am 17. Januar 2011 Widerspruch und legte vom Kreisausschuss des Werra-Meisser-Kreises ausgestellte Bedarfsbescheinigungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vom 11. Oktober 2010 (übersteigendes Einkommen: 77,12 €; Bl. 82 Rentenakten), vom 28. Februar 2011 (übersteigendes Einkommen: 55,81 €; Bl. 97 Rentenakten) und vom 6. Juni 2011 (übersteigendes Einkommen: 40,22 €; Bl. 104 Rentenakten) vor. Durch Teilabhilfebescheide vom 31. Januar 2011, vom 12. April 2011 und vom 16. August 2011 setzte die Beklagte daraufhin den Verrechnungsbetrag jeweils auf das in der neu vorgelegten Bedarfsbescheinigung genannte übersteigende Einkommen herab. Den weitergehenden Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. November 2011 (Bl. 111 Rentenakten) als unbegründet zurück.
Die Klägerin erhob daraufhin am 2. Januar 2012 (Bl. 20 Gerichtsakten) Klage bei dem Sozialgericht Kassel und machte geltend, dass bei ihr Hilfebedürftigkeit eintrete, wenn der Betrag von 40,22 € verrechnet werde. Die Beklagte berief sich demgegenüber darauf, dass die gesetzlichen Grenzen für eine Verrechnung eingehalten worden seien.
Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 26. Juli 2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin durch die angefochtenen Verrechnungsbescheide der Beklagten vom 17. Januar 2011, vom 31. Januar 2011, vom 12. April 2011 und vom 16. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2011 nicht in eigenen Rechten verletzt werde.
Die Beklagte habe die Verrechnung zutreffend auf §§ 52, 51 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) gestützt.
Formelle Bedenken gegen das Vorgehen der Beklagten bestünden nicht. Die Beklagte habe die Klägerin insbesondere vor Erlass der Bescheide ordnungsgemäß nach Maßgabe von § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angehört.
Die angefochtenen Bescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides seien auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 52 SGB I könne der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen ...