Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegeversicherung. Schwerstpflegebedürftigkeit. Hilfebedarf nächtlicher, nachts. pflegebedarfsmindernde Maßnahmen, Inkontinenzartikel, Berücksichtigung, Zumutbarkeit. defizitäre Pflege
Leitsatz (amtlich)
Pflegebedürftigkeit im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes bestimmt sich nach dem objektiv erforderlichen Hilfebedarf.
Pflegebedarfsmindernde Maßnahmen sind bei der Bemessung des Hilfebedarfs zu berücksichtigen. Ausnahmen gelten nur dann, wenn diese Maßnahmen dem Pflegebedürftigen unzumutbar sind und/oder die Pflege defizitär ist.
Normenkette
SGB XI §§ 14, 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 13.02.1997; Aktenzeichen S 10 P 490/96) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 13. Februar 1997 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die am 8. Oktober 1914 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung unter Zuordnung der Pflegestufe III ab dem 1. April 1995 nach den Vorschriften des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI).
Die Klägerin ist bei der Beklagten pflegeversichert. Es besteht bei ihr der Zustand nach einem im Jahre 1988 erlittenen Schlaganfall mit einer armbetonten Hemiparese links, der Verschleiß der großen Gelenke, ein medikamentös eingestelltes Krampfleiden sowie eine Harninkontinenz und gelegentliche Stuhlinkontinenz. Die Klägerin lebt in einer eigenen Wohnung im gleichen Haus wie ihr Sohn, der sie zusammen mit der Schwiegertochter versorgt. Weitere Unterstützung hat die Klägerin durch einen ambulanten Pflegedienst. Seit Februar 1996 wird sie zudem an zwei Tagen der Woche, seit Anfang des Jahres 1997 an drei Tagen der Woche, in der Zeit von 9:00 bis 16:00 Uhr in einer Tagespflegestation betreut.
Aufgrund des Antrages der Klägerin auf Leistungen der Pflegeversicherung von September 1994 ließ die Beklagte die Klägerin durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in Hessen (MDK) durch Dr. K. in der häuslichen Umgebung begutachten. Der Arzt gab in seinem Gutachten vom 16. März 1995 unter anderem an, daß die Klägerin aufgrund der bei ihr vorliegenden Streßinkontinenz mit Einlagen versorgt sei. Bei Diarrhöe bestehe Stuhlinkontinenz. Nachts sei die Klägerin mit Windeln versorgt. Die Klägerin werde zwischen 22:00 und 23:00 Uhr ins Bett gebracht Morgens werde sie zwischen 7:00 und 8:00 Uhr zur Toilette gebracht. Eine zunächst installierte Klingel sei wieder entfernt worden, da die Klägerin nachts immer ohne Anlaß geklingelt habe. Dr. K. kam zu dem Ergebnis, daß bei der Klägerin ein Hilfebedarf in einem Ausmaß vorliege, der einen Zeitaufwand von mindestens drei Stunden täglich erfordere und damit der Pflegestufe II entspreche.
Aufgrund dieses Gutachtens bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 4. Mai 1995 Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach der Pflegestufe II. Die Klägerin erhob Widerspruch mit der Begründung, ihre Erachtens seien die Voraussetzungen für eine Einstufung in die Pflegestufe III gegeben. Die Beklagte veranlaßte daraufhin nochmals eine Untersuchung in der häuslichen Umgebung durch den MDK, und zwar durch Dr. H.. Dieser Arzt bestätigte im wesentlichen das Vorgutachten von Dr. K. und führte aus, ein Pflegeaufwand von regelmäßig fünf Stunden täglich werde nicht erreicht. Es bestehe auch kein nächtlicher Pflegebedarf, so daß die medizinischen Voraussetzungen für die Pflegestufe III nach dem SGB XI nicht vorliegen würden. Mit Bescheid vom 3. November 1995 und einer Berichtigung vom 10. November 1995 lehnte die Beklagte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach der Pflegestufe III ab. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, der tägliche Zeitaufwand der für sie erforderlichen Pflege übersteige fünf Stunden. Auch nächtlichen Hilfebedarf könne man angesichts der Tatsache, daß sie sich nicht selbst helfen könne, nicht ausschließen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1996, der Klägerin mit Postzustellungsurkunde zugestellt am 22. Februar 1996, wies die Beklagte den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Feststellungen des Medizinischen Dienstes hätten ergeben, daß die vom Gesetz geforderte Rund-um-die-Uhr-Versorgung für die Zuordnung der Pflegestufe III nicht gegeben sei.
Die Klägerin hat am 20. März 1996 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben und vorgetragen, mittlerweile sei ihr Tageslauf so gestaltet und organisiert, daß eine einigermaßen zufriedenstellende Versorgung gesichert sei. Optimal sei dies jedoch nicht, an sich wäre es erforderlich, daß ihre Betreuungspersonen nachts nicht nur für etwaige Notfälle im gleichen Haus wohnen würden, sondern sie auch ein- bis zweimal zur Toilette fuhren würden. In der ersten Zeit nach ihrer Erkrankung hätten ihre Angehörigen dies versucht, hätten jedoch erkennen müssen, daß sich die ...