Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz. Arbeitsbescheinigung. Verwaltungsakt. Sozialrechtsverhältnis. Treu und Glauben. sozialrechtlicher Schadensersatzanspruch. Herstellungsanspruch. Mitverschulden
Leitsatz (amtlich)
1. Der Schadensersatzanspruch nach § 145 AFG kann, jedenfalls soweit er auf die nicht richtige Ausfüllung einer Arbeitsbescheinigung gestützt wird, durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden. Rechtliche Ermächtigungsgrundlage hierfür ist das zwischen den Arbeitgeber als dem Aussteller der Bescheinigung und der Bundesanstalt für Arbeit spätestens mit der Vorlage der Bescheinigung beim Arbeitsamt begründete Sozialrechtsverhältnis.
2. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegenüber dem Arbeitgeber als dem Aussteller der Arbeitsbescheinigung setzt nicht die vorrangige erfolglose Inanspruchnahme des Leistungsempfängers durch die Bundesanstalt für Arbeit voraus.
3. Aus dem Sozialrechtsverhältnis folgt für die Bundesanstalt für Arbeit die Pflicht, den Arbeitgeber als den Aussteller der Arbeitsbescheinigung vor vermeidbarem Schaden zu bewahren. Sie muß ihn deshalb auf offensichtliche bzw. evidente Unrichtigkeiten, die aus der Bescheinigung selbst heraus für jeden verständigen Adressaten ohne weiteres erkennbar sind, hinweisen und auf deren Behebung drängen.
4. Verletzt die Bundesanstalt für Arbeit diese Verpflichtung, kann sie jedenfalls dann keinen Schadensersatzanspruch geltend machen, wenn dem Arbeitgeber hinsichtlich der nicht richtigen Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung nicht Vorsatz oder wenigstens grobe Fahrlässigkeit anzulasten sind. Dies ergibt sich aus dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), aus einer entsprechenden Anwendung und Fortentwicklung der Grundsätze zum sozialrechtlichen Schadensersatz – bzw. Herstellungsanspruch sowie aus einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze des § 254 BGB.
Normenkette
AFG § 145; BGB §§ 254, 242
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.11.1973; Aktenzeichen S 18/3/Ar - 17/76) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagten gegen die Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen nicht richtigen Ausfüllens einer Arbeitsbescheinigung zusteht (§ 145 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –).
Am 7. Januar 1974 meldete sich die frühere Montagearbeiterin der Klägerin Y. C. beim Arbeitsamt Frankfurt am Main arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). In einer von der Klägerin am 14. Januar 1974 ausgefüllten Arbeitsbescheinigung ist für den Lohnabrechnungszeitraum vom 5. Februar 1973 bis 28. Februar 1973 für 19 Arbeitstage und eine Gesamtzahl von 150 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 882,85 DM genannt. In der nächsten Zeile der Bescheinigung ist für den Lohnabrechnungszeitraum vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 für 17 Arbeitstage und eine Gesamtzahl von 136 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.668,05 DM eingetragen. In einer dritten Zeile ist für eine Gesamtzahl von 36 Arbeitstagen und 286 Arbeitsstunden ein Gesamt-Bruttoarbeitsentgelt von wiederum 1.668,05 DM aufgeführt.
In der Alg-Verfügung vom 29. Januar 1974 wurde von dem Sachbearbeiter der Beklagten zunächst als Arbeitsentgelt für 286 Arbeitsstunden ein Betrag von 1.668,05 DM eingetragen; dieser Betrag wurde sodann durchgestrichen und berichtigt in 2.550,90 DM. Aufgrund dieser Berichtigung wurde das der Arbeitslosen Celebi gewährte Alg berechnet. Tatsächlich betrug das Arbeitsentgelt der Arbeitslosen für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 785,20 DM.
Mit Bescheid vom 5. Februar 1975 forderte die Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 1.739,– DM als Schadensersatz, weil die Klägerin durch Ausstellung einer unrichtigen Arbeitsbescheinigung eine Überzahlung an die Arbeitslose C. in dieser Höhe verschuldet habe. Im einzelnen handelte es sich um Leistungen, die der Arbeitslosen in der Zeit vom 7. Januar 1974 bis 12. Dezember 1974 gewählt worden waren. Am 13. Februar 1975 legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie räumte ein, versehentlich sei von ihr für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 der Gesamtverdienst der Monate Februar und März 1973 eingetragen werden. Gleichzeitig machte sie jedoch geltend, der betreffende Sachbearbeiter der Beklagten habe bei gewissenhafter und sorgfältiger Prüfung unbedingt erkennen müssen, daß der Betrag von 1.668,05 DM für die angegebene Gesamtzeit gelte; den Verdienst für März 1973 habe er dann leicht durch Abzug des für Februar 1973 genannten Betrages von 882,85 DM ermitteln können. Jedenfalls sei es erforderlich gewesen, rechtzeitig vor Auszahlung des Alg bei ihr, der Klägerin, eine entsprechende Rückfrage zu halten.
Aufgrund einer Verfügung vom 18. November 1975 erhöhte die Beklagte in einem undatierten Änderungsbescheid den von der Klägerin...