Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege bei Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen. kein Erstattungsanspruch des für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständigen Rehabilitationsträgers

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form von mittäglichen Insulininjektionen steht nicht die Tätigkeit des Krankenversicherten in einer Werkstatt für behinderte Menschen entgegen. Auch gewährte Eingliederungshilfe gem § 41 SGB 9 schließt den Anspruch nicht aus. § 33 Abs 6 SGB 9 ist nicht zu entnehmen, dass der für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständige Rehabilitationsträger auch umfänglich für die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuständig ist.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Kostenerstattung hat.

Der 1963 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Kläger ist wegen eines Anfallsleidens in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in R. tätig. Aufgrund der bei ihm bestehenden Diabetes mellitus muss er mittäglich Insulininjektionen erhalten, die er sich nicht selbst verabreichen kann. Bis September 1991 übernahm die Beklagte die Kosten hierfür, anschließend verweigerte sie die Kostentragung.

Am 2. Januar 2003 verordnete Dr. K. dem Kläger häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2003 in Form von einmal täglichen Insulininjektionen. Die vom Kläger - nach Kenntnisnahme des Urteils des Bundessozialgerichtes vom 21. November 2002 (B 3 KR 13/02 R) - am 7. Januar 2003 beantragte Kostenübernahme hinsichtlich der von ihm beglichenen Rechnungen vom 6. Februar, 13. März und 8. Mai 2003 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Februar 2003 ab. Nach Bestätigung seitens des Bundesversicherungsamtes (Schreiben vom 29. September 2003) und des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages (Schreiben vom 1. Oktober 2003), dass die Beklagte nicht leistungspflichtig sei, wies diese den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2004 zurück. Außerhalb des klägerischen Haushalts könne häusliche Krankenpflege nicht auf Kosten der Beklagten erbracht werden. Der Träger der WfbM müsse die medizinische Betreuung vorsehen.

Die hiergegen am 25. Juni 2004 vor dem Sozialgericht Gießen erhobene Klage hat der Kläger damit begründet, dass erst seit Dezember 2003 die Insulinabgabe durch geschultes Personal in der WfbM abgedeckt sei.

In der vom Sozialgericht eingeholten Auskunft der Behindertenhilfe W. GmbH vom 1. Dezember 2004 hat diese die Auffassung vertreten, dass der Schwerpunkt der Betreuung in einer WfbM in pädagogischer und sozialer Arbeitsleistung bestehe. Qualität und Quantität der Fachkräfte zur medizinischen Betreuung seien hingegen nicht besonders geregelt.

Mit Urteil vom 30. März 2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung der streitigen Bescheide verpflichtet, dem Kläger die Kosten der häuslichen Krankenpflege für den Zeitraum 1. Januar bis 31. März 2003 zu erstatten. § 37 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialversicherung - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) umfasse auch den Aufenthalt in einer WfbM, aus der Werkstättenverordnung resultiere kein subjektiv-rechtlicher Anspruch des Klägers gegenüber dem Träger der WfbM und § 37 Abs. 3 SGB V stehe dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, da den Eltern des Klägers - auch unter Berücksichtigung deren Alters - nicht zuzumuten sei, jeden Werktag mittags die WfbM aufzusuchen.

Gegen das der Beklagten am 11. Mai 2006 zugestellte Urteil hat diese am 26. Mai 2006 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 15. September 2006 ist der Landeswohlfahrtsverband Hessen beigeladen worden.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten ausgeschlossen sei, weil dieser Eingliederungshilfe nach § 41 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) erhalte, die gemäß § 33 Abs. 6 SGB IX auch medizinische Hilfen wie Insulingaben umfasse. Nach § 42 SGB IX fielen Leistungen, die in einer WfbM erbracht werden, nicht in den Aufgabenbereich der Gesetzlichen Krankenkasse. Soweit keine andere Zuständigkeit gegeben sei, sei der Sozialhilfeträger zuständig. Zudem müsse der zuständige Leistungsträger nach § 4 Abs. 2 Satz 2 SGB IX die Leistung umfänglich erbringen, damit die Leistungen anderer Träger vermieden werden. Außerdem sei die WfbM verpflichtet, die begleitenden medizinischen Dienste vorzuhalten und zu erbringen. § 37 Abs. 2 SGB V setzt ferner voraus, dass die Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels ärztlicher Behandlung erforderlich werde. Vorliegend sei die Behandlungspflege hingegen in erster Linie zur Ermöglichung und zur weiteren Durchführung der Maßnahme erforderlich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Gießen vom 30. März 2006 aufzuheben,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Sozialger...

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