Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Hilfsmittelversorgung. Notwendigkeit der Ausstattung mit einem Behindertendreirad
Orientierungssatz
Wenn ein Behindertendreirad notwendig ist, um einer drohenden Behinderung, nämlich dem Verlust der Gehfähigkeit, vorzubeugen und andere Therapieformen nicht den gleichen Erfolg versprechen, erfüllt dies den Tatbestand des § 33 Abs 1 S 1 Alt 2 SGB 5.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Neuversorgung mit einem Behindertendreirad streitig.
Die Klägerin, geboren im Jahr 1965, ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei ihr besteht u.a. eine links- und beinbetonte Tetraspastik. Ein Grad der Behinderung von 100 und das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen “B, G und aG„ sind anerkannt. Die Klägerin ist halbtags berufstätig.
Am 27.02.2007 ging bei der Beklagten der Antrag der Klägerin auf Kostenübernahme für die Ersatzbeschaffung eines vorhandenen Behindertendreirades ein. Dazu legte sie einen Kostenvoranschlag in Höhe von Euro 2.300 vor sowie einen Arztbrief von Dr. BC. (behandelnder Orthopäde) vom 05.05.2006 und zwei Arztbriefe des Universitätsklinikums KM (UKM) vom 12.09.2005 und vom 07.11.2003 vor. Dazu führte die Klägerin aus, seit ihrem 16. Lebensjahr nutze sie zur Ergänzung der Krankengymnastik auf neurophysiologischer Basis ein Behindertendreirad. Auf Anraten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) sei 1995 eine Neuversorgung mit einem individuell angepassten Rad erfolgt. Dieses Rad nutze sie bis zum heutigen Tag. Aufgrund der intensiven Nutzung - sie nutze das Rad fast täglich - sei nunmehr eine Ersatzbeschaffung erforderlich. Ihre seit Geburt bestehende Behinderung verursache eine abnehmende Beweglichkeit und damit verbunden, zunehmende Probleme den Muskeltonus zu regulieren sowie Schmerzen aufgrund von Verschleißerscheinungen und Fehlbelastungen. Ihre Gehfähigkeit habe sie sich aufgrund der Krankengymnastik und dem täglichen Training mit dem Dreirad erhalten können. Unter Bezug auf die vorgelegten ärztlichen Unterlagen trug die Klägerin vor, auch von ihren Ärzten sei sie darauf hingewiesen worden, dass nur dieses intensive Training den raschen und vollständigen Verlust ihrer Gehfähigkeit aufhalten könne. Zwar ersetze das Dreirad den Rollstuhl nicht vollständig, aber wo immer möglich nutze sie das Dreirad.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme durch den MDK vom 27.02.2007. Danach stelle das Radfahren kein Grundbedürfnis dar, für das die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) leistungspflichtig sei. Auch sei die Klägerin zur Sicherung ihrer Mobilität mit einem Rollstuhl versorgt. Eine Versorgungslücke bestehe nicht. Die Übernahme der Kosten des beantragten Behindertendreirades könne nicht empfohlen werden.
Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.03.2007 die beantragte Kostenübernahme ab.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und vertrat die Auffassung, die Nutzung eines Behindertendreirades sei in ihrem Fall für den Erhalt ihrer Gehfähigkeit notwendig. Das Ziel sei, die Folgeerscheinungen ihrer Behinderung weiterhin möglichst gering zu halten und ihre Selbständigkeit zu sichern. Das Dreirad sei eine unverzichtbare Ergänzung zu 2mal wöchentlich stattfindender Krankengymnastik und sie nutze das Rad für Wegstrecken, die andere üblicher Weise zu Fuß zurücklegten und den vorhandenen Aktivrollstuhl bzw. Elektrorollstuhl nur, wenn die Tagesplanung, ihre Tagesform, die Örtlichkeit oder organisatorische Dinge die Nutzung des Dreirades nicht zuließen. In ihrem Tagesablauf seien die vorhandenen Hilfsmittel in Kombination im Gebrauch. Sie äußerte die Vermutung, dass sie in den Rollstuhl “verbannt„ werde, wenn ihr ein Dreirad nicht mehr zur Verfügung stehe. Allein durch die Krankengymnastik sei ein Erhalt ihrer Gehfähigkeit nicht möglich.
Die Beklagte veranlasste eine erneute Stellungnahme durch den MDK, die Dr. DE. (Arzt für Orthopädie-Rheumatologie, Physikalische und Rehabilitative Medizin, Chirotherapie, Sportmedizin, Physikalische Medizin) und Herr FG. (Orthopädie-Mechaniker-Meister, Betriebswirt des Handwerks) am 14.06.2007 nach Aktenlage erstellten. Diese kamen zu dem Ergebnis, zur Mobilisierung der Klägerin über kürzere Wegstrecken (im Haus bzw. außerhalb des Hauses) stehe ein Aktivrollstuhl und für weitere Wegstrecken ein Elektrorollstuhl zur Verfügung. Damit sei die Klägerin hinreichend mit Hilfsmitteln für den Bereich Mobilität versorgt. Zwar sei grundsätzlich nachvollziehbar, dass das aktive bzw. das passive Durchbewegen der Beine Spastiken reduzieren könne. Für dieses Therapieziel stünden jedoch Behandlungsmethoden zur Verfügung, d...