Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Berufungsfrist. Eingangsstempel des Sozialgerichts. handschriftlicher Vermerk auf Briefumschlag
Orientierungssatz
Eine Berufung ist gem § 151 Abs 1 SGG verspätet eingelegt, wenn der Eingangsstempel des Sozialgerichts ein anderes Datum (hier: 10.11.2008), als vom Kläger behauptet, ausweist. Der Eingangsstempel ist eine öffentliche Urkunde iS des § 418 Abs 1 ZPO, die dem Gegenbeweis nach § 418 Abs 2 ZPO zugänglich ist. Dem Kläger gelingt ein Gegenbeweis nicht, wenn er die Berufungsschrift mit einem handschriftlichen Vermerk auf dem Briefumschlag "Einwurf Fristenbriefkasten Sozialgericht MR am 7.11.2008 um 19:30 Uhr" in den Gerichtsbriefkasten einwirft.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 11. September 2008 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 Unterkunftskosten in Höhe von 177,80 € pro Monat, vom 1. Juli 2005 bis 30. Juni .2006 Unterkunftskosten in Höhe von 190,84 € pro Monat und vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2008 Unterkunftskosten in Höhe von 195,44 € pro Monat sowie Heizkosten für den Zeitraum vom 2. März 2007 bis 8. März 2008 in Höhe von 667,61 € und für den Zeitraum vom 9. März 2008 bis 30. Juni 2008 Heizkosten in Höhe von anteilig 45,00 € für März, 45,00 € für April und in Höhe von je 63,00 € für Mai und Juni 2008. Die nach erfolglosem Vorverfahren fristgemäß beim Sozialgericht Marburg erhobene Klage wurde vom Sozialgericht nach zeugenschaftlicher Vernehmung des kaufmännischen Angestellten X. X. sowie des Hausmeisters Y. Y. mit Urteil vom 11. September 2008 abgewiesen. Wegen des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil Bezug genommen. Die Zustellung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers erfolgte am 7. Oktober 2008 (Empfangsbekenntnis/Blatt 129 der Gerichtsakte).
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit Berufungsschriftsatz vom 6. November 2008, welcher den Eingangsstempel des Sozialgerichts Marburg vom 10. November 2008 trägt. Der bei der Gerichtsakte befindliche Umschlag (Bl. 142) trägt folgende Aufschrift:
“Umschlag aufbewahren, Urkunde! Bitte zusammen mit der Akte dem Berufungsgericht, Hess. LSG, vorzulegen!
Einwurf Fristenbriefkasten
Sozialgericht MR am
07.11.2008 um 19.30 Uhr„
(Unterschrift).
Auf die Benachrichtigung seitens des Berichterstatters, die Berufung sei am 10. November 2008 eingegangen, erwiderte der Kläger mit Schriftsatz vom 19. November 2008, dies sei unzutreffend, vielmehr sei die Berufungsschrift von ihm persönlich fristwahrend am Freitag, den 7. November 2008, um 19.30 Uhr in den Fristbriefkasten des Sozialgerichts Marburg eingeworfen worden. Er nehme Bezug auf die urkundlichen Vermerke des Briefumschlags. Ihm sei voll bewusst gewesen, dass an diesem Freitag die Berufungsfrist ablaufen würde und er habe von der Einlegung der Berufung per Fax beim Hessischen Landessozialgericht abgesehen, da das Sozialgerichtsgesetz ausdrücklich die Berufungseinlegung fristwahrend beim Sozialgericht zulasse. Er versichere an Eides statt, die Berufungsschrift am Freitag, 7. November 2008, in den Fristenbriefkasten des Sozialgerichts Marburg eingelegt zu haben.
Mit Schreiben vom 20. November 2008 teilte der vormalige Berichterstatter dem Kläger mit, der 10. November 2008 sei ein Montag gewesen, weshalb - wörtlich weiter - “hier insoweit davon ausgegangen wird, dass die Berufung fristgerecht eingelegt worden ist„.
Wegen des Berufungsvorbringens in der Sache wird auf die Schriftsätze des Klägers Bezug genommen, der sinngemäß beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Marburg vom 11. September 2008 gemäß seinen erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
sie zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für verfristet und im Übrigen den Inhalt des angefochtenen Urteils für zutreffend.
Vom Senat wurde eine Auskunft des Sozialgerichts Marburg eingeholt. Auf die Antworten mit Schreiben vom 15. April 2010 sowie vom 28. Mai 2010 wird Bezug genommen. Ferner hat der Senat den inzwischen in den Ruhestand getretenen früheren Leiter der Poststelle des SG, Herrn B., in der mündlichen Verhandlung als Zeugen zur Frage des Eingangs der Berufungsschrift vernommen; auf die Niederschrift einschließlich derjenigen der parteiöffentlichen Vernehmung des Zeugen gemäß §§ 118 Abs. 2 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO), 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sowie auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung gegen das Urteil des SG Marburg vom 11. September 2008 ist unzulässig, weil sie verspätet eingelegt wurde und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorl...