Nachgehend
Tenor
Die Berufungen des Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. Oktober 2019 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger 4/5 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu ersetzen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsrecht (OEG) i.V.m. mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Streitig ist insbesondere, inwieweit das psychische Krankheitsbild des Klägers auf die erlittenen Gewalttaten zurückzuführen ist.
Der 1980 geborene Kläger leidet unter einem anlagebedingten hoch-funktionalen Asperger-Autismus und zeigte spätestens ab dem Kindergartenalter besondere Schwierigkeiten in sozialen Kontakten. Die Kindheit war überdies geprägt von der Gewaltbereitschaft und der dauernden Gewaltausübung des Vaters gegenüber der Mutter, dem Bruder des Klägers und dem Kläger. Der Kläger besuchte Kindergarten und Grundschule, anschließend die Realschule. Im September 1991 floh er mit seiner Mutter aus der elterlichen Wohnung in das Frauenhaus B-Stadt. Der Kläger wiederholte die 7. Klasse (1993), erlangte 1997 den Realschulabschluss, wechselte anschließend auf das berufliche Gymnasium (Hauptfächer Technikwissenschaft und Mathematik) und legte 2000 das Abitur mit zusätzlicher Qualifikation im Bereich Technik/Datentechnik ab. Er besuchte die Berufsfachschule für Datenverarbeitung, machte dort eine Ausbildung zum mathematisch-technischen Assistenten (verkürzt auf ein Jahr) und absolvierte anschließend bis 2002 seinen Zivildienst für die Aidshilfe A-Stadt, wo er bis September 2007 auch weiterhin geringfügig beschäftigt blieb. Im Herbst 2002 nahm er an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität ein Mathematikstudium auf (Nebenfach: zunächst Philosophie, später Physik und schließlich Informatik) und lebte bis 2002 in einer Zweier-Wohngemeinschaft. Seit Ende 2006 lebte er allein; im Wintersemester 2006/2007 brach er sein Studium ab und bezog ab April 2007 zunächst Leistungen nach dem SGB II. Seit November 2008 bezieht er Grundsicherung wegen voller Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Daneben nimmt der Kläger im Rahmen der Eingliederungshilfe (§§ 53 ,54 SGB XII ) seit April 2007 Fachleistungsstunden (120 Stunden jährlich) zunächst durch die Einrichtung „Betreutes Wohnen der Bürgerhilfe Sozialpsychiatrie“ und anschließend durch den „A-Stadter Verein Psychosoziale Dienste D.H. / A-Stadter Verein für soziale Heimstätten e.V.“ in Anspruch (u.a. Bescheid des Landeswohlfahrtsverbands Hessen ≪LWV≫ vom 27.04.2007). Seit Herbst 2007 wird der Kläger durch das Autismus-Therapieinstitut (Behindertenhilfe in Stadt und Kreis C-Stadt e.V.) in Form eines Haushaltsdienstes ambulant betreut und erhält heilpädagogische Leistungen (Träger: LWV). Außerdem bezieht er seit März 2017 Leistungen der Pflegeversicherung in Höhe des Pflegegrads I. Im Rahmen von Entlastungsleistungen (§ 45a SGB XI ) erbringt der Sozialdienst A-Stadt e.V. hauwirtschaftliche Hilfsdienste (Einkaufen, Haushalt); Kostenträger ist die Pflegeversicherung.
Am 04.05.2009 beantragte der Kläger Versorgungsleistungen nach dem OEG und machte geltend, dass er ab seiner Geburt bis zur Flucht seiner Mutter ins Frauenhaus im Jahre 1991, also ca. 11 Jahre lang physisch und psychisch misshandelt worden sei. Er habe in seiner Familie in einer Atmosphäre der ständigen Angst und Bedrohung durch den Vater gelebt. Er, seine Mutter und sein Bruder seien vom Vater immer wieder regelrecht gefoltert worden, ihm sei mit Körperverletzungen oder mit Ermordung der Mutter gedroht und oftmals sei er mit Gewalt zu demütigenden und entwürdigenden Handlungen genötigt worden. Als Folge dieser jahrelangen Traumatisierung leide er an Depressionen, Panikattacken und gravierenden Angstzuständen, er habe seine Wohnung abgedunkelt und könne diese nicht mehr verlassen.
Der Beklagte nahm diverse Unterlagen zu den Akten, u.a. Auszüge aus Akten des Vormundschaftsgerichts Wiesbaden aus dem Jahr 1991. Hieraus ergab sich, dass der ältere Bruder des Klägers von sich aus beim Jugendamt den Antrag gestellt hatte, wegen der Brutalität des Vaters aus der Familie herausgenommen zu werden. Das Jugendamt bestätigte, dass der Vater als gewalttätig eingeschätzt werde. Ferner zog der Beklagte Unterlagen des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit einschließlich der psychiatrischen Gutachten des Dr. B. vom 30.01.2008 und 11.09.2008 bei. Aus einer Stellungnahme Dipl.-Psych. D. vom Autismus-Therapieinstitut D-Stadt vom 14.10.2008 ging hervor, dass sie den Kläger seit Herbst 2007 behandelte und dass von ihr erstmals ein Asperger-Syndrom festgestellt worden sei; daneben käme es bei dem Kläger zu ausgeprägten depressiven Phasen. Sie behandle den Kläger zuhause, da dieser sich nicht mehr in der Lage fühle, seine Wohnung zu verlassen. Im letzten Jahr habe sich die Situation immer mehr zugespi...