Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit. Verschlossenheit des Arbeitsmarktes
Orientierungssatz
1. Zur Frage, ob für die Beurteilung, ob ein Versicherter der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters im unteren Bereich oder der Gruppe mit dem Leitbild des ungelernten Arbeiters berufs- oder erwerbsunfähig ist, die konkrete Benennung von Verweisungstätigkeiten erforderlich ist, wenn er seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben und auch sonst nur noch leichte körperliche Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten kann?
2. Sind die Fallgruppen bei denen das Bundessozialgericht bisher die erhebliche Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes angenommen hat, als abschließend anzusehen?
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 24.04.1992; Aktenzeichen S-1/J-332/90) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. April 1992 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist ein Anspruch des Klägers auf die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit.
Der 1935 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt von September 1962 bis zum 26. September 1988 als Straßenbauarbeiter beschäftigt. Danach war er arbeitsunfähig krank.
Am 28. Juni 1989 beantragte der Kläger die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Die Beklagte veranlasste eine orthopädische Begutachtung durch den Facharzt für Orthopädie Dr. med. M. und ließ den Kläger von dem Arzt für Innere Krankheiten und Sozialmedizin Dr. O. sozialmedizinisch untersuchen. In seinem Gutachten vom 27. Oktober 1989 diagnostizierte Dr. med. O. unter Berücksichtigung des orthopädischen Gutachtens von Dr. med. M. vom 9. August 1989 zusammenfassend eine leichte Rundrückenbildung und eine beginnende Gefügestörung im unteren Bereich der Halswirbelsäule, ein beginnender Knorpelabbau beider Hüftgelenke, eine rückfällige Entzündung des unteren Teils der Speiseröhre, eine unkomplizierte Leberzellschädigung, eine Hörminderung beiderseits sowie eine nervöse Übererregbarkeit. Das Leistungsvermögen schätzte Dr. O. in Übereinstimmung mit Dr. M. dahingehend ein, dass der Kläger noch in der Lage sei, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig mit gewissen funktionalen Einschränkungen (ohne dauerndes Heben, Bücken oder Tragen, Stehen und Umhergehen sowie ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck) zu verrichten.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 8. November 1989 ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege. Den hiergegen am 24. November 1989 erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 1990 zurück.
Auf die hiergegen am 8. März 1990 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Darmstadt einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. med. S. vom 17. November 1990 eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. med. R.. In seinem Gutachten vom 18. März 1991 diagnostizierte Prof. Dr. R. eine Verhärtung der Hohlhandfaszie und endphasige Überstreckbehinderung des Ringfingers links sowie eine Narbe in der Hohlhand rechts nach Operation einer Dupuytren___AMPX_’_SEMIKOLONX___schen Kontraktur, ohne auffällige Greifbehinderung, einen leichten Rundrücken, Krampfadern am rechten Bein, röntgenologisch altersentsprechende Befunde im Bereich beider Hüftgelenke, der Hals- und Lendenwirbelsäule und subjektive Klagen über eine massive Funktionseinschränkung von Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Hüften und Schultern mit zunehmender Tendenz ohne objektivierbare Ausfälle. Trotz dieser Erkrankungen und Leiden beurteilte er die Leistungsfähigkeit des Klägers dahin, dass dieser noch mindestens leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von dem Chefarzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses in S.-J. Dr. med. S.. In seinem Gutachten vom 22. Juni 1991 und der ergänzenden Stellungnahme vom 5. Februar 1992 diagnostizierte Dr. S. auf internistischem Fachgebiet eine inkonstante axiale Hiatushernie (Gleitbruch des Magens) mit zeitweiliger Refluxoesophagitis. Auch dieser Sachverständige erachtete den Kläger noch für in der Lage, regelmäßig ganztags zumindest leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Im Hinblick auf den rezidivierenden Reflux von Magensaft sollte der Kläger während der Arbeitszeit häufige kleine Mahlzeiten einhalten, so dass ihm Gelegenheit zu zusätzlichen Esspausen gegeben werden sollten, und zwar im Umfang von jeweils zwei zehnminütigen Pausen am Vormittag und am Nachmittag.
Mit Urteil vom 24. April 1992 gab das SG Darmstadt daraufhin der Klage statt und verurteilte die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Besc...