Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe für Ausländer. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bei Aufenthalt von weniger als sechs Monaten
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII aF führt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII gegen den Sozialhilfeträger.
2. Die einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung begründende Aufenthaltsverfestigung tritt nicht erst nach Ablauf von sechs Monaten ein.
3.Der bloße Nichtablauf der Sechsmonatsfrist begründet keinen Anspruchsausschluss.
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. August 2018 wird der Beigeladene verurteilt, über die Ansprüche der Kläger auf Leistungen nach dem SGB XII unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Ausübung seines Ermessens zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die in zweiter Instanz erhobene Klage wird abgewiesen.
II. Der Beigeladene trägt 1/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger aus beiden Instanzen. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) oder dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2015.
Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1.) und ihr 2011 geborener Sohn, der Kläger zu 3.), hatten seit 2012 in Großbritannien gelebt. Sie kamen am 6. August 2015 nach Deutschland und meldeten sich bei der Stadt Erbach an. Der Kläger zu 2.) kam am 6. September 2015 aus Bulgarien zu seiner Familie nach Deutschland nach und meldete sich gleichfalls bei der Stadt Erbach an. Die Familie wohnte zunächst bei den im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Eltern der Klägerin zu 1.) in einer 1,5-Zimmerwohnung.
Die Kläger beantragten am 21. Oktober 2015 beim Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ihren Angaben zufolge wurden sie von der Mutter der Klägerin zu 1.) mit Lebensmitteln versorgt. Als Grund für ihr Freizügigkeitsrecht und als Grund des Aufenthalts in Deutschland wurde von den Klägern zu 1.) und zu 2.) in den Antragsunterlagen jeweils „Arbeit“ angegeben.
Mit Bescheid vom 13. November 2015 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab, da sich das Aufenthaltsrecht der Kläger allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe und sie gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen seien.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger anwaltlich vertreten am 19. November 2015 Widerspruch ein und begehrten eine Vorschusszahlung.
Der Kläger zu 2.) legte dem Beklagten zu einem nicht festgehaltenen Zeitpunkt einen undatierten Arbeitsvertrag mit der Firma E. Dienstleistungen vor. Danach sollte er ab dem 1. November 2015 als Reinigungskraft eingestellt werden. Die Arbeitszeit sollte mit dem Arbeitgeber vereinbart werden, als Stundenlohn waren 9,55 Euro (brutto) vorgesehen. In einer dem Beklagten am 15. Dezember 2015 übersandten, undatierten Bescheinigung erklärte der Inhaber der Firma E. Dienstleistungen, dass der Kläger zu 2.) wegen nur weniger Aufträge im November nicht habe eingesetzt werden können. Im Dezember habe er bereits 20 Stunden zu einem Stundenlohn von 9,55 Euro gearbeitet. Am 25. Januar 2016 ging bei dem Beklagten ein Schreiben der E. Dienstleistungen gerichtet an die Prozessbevollmächtigte der Kläger ein, dass die Bescheinigung über Stunden im Dezember aufgehoben werde. Dem Kläger zu 2.) sei zum 30. November 2015 gekündigt worden. Der Kläger zu 2.) hatte zu keinem Zeitpunkt die Arbeit aufgenommen und es wurde ihm auch kein Lohn gezahlt.
Am 8. Januar 2016 legte der Kläger zu 2.) einen am 28. Dezember 2015 unterzeichneten Arbeitsvertrag mit der Firma F. in F-Stadt vor. Danach sollte er ab 1. Januar 2016 als Produktionshelfer eingestellt werden. Die Arbeitszeit sollte sich nach der betrieblichen Einteilung richten, die monatliche Bruttovergütung sollte 455 Euro betragen. Nach Vorlage einer Arbeitsbescheinigung, eines Kontoauszugs mit Zahlungseingang des Januargehalts am 3. Februar 2016 in Höhe von 360,47 Euro und einer Lohnbescheinigung (Eintrittsdatum 1. Januar 2016) bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 3. Februar 2016 ergänzend Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2016. Die Leistungsgewährung durch den Beklagten erfolgte bis Februar 2018, zum 1. Februar 2018 verzogen die Kläger nach A-Stadt.
Den gegen ...