Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kostenerstattung für den Aufenthalt im Frauenhaus. typisierende Unterstellung einer Gefährdungslage am bisherigen Wohnort mit Aufnahme ins Frauenhaus. keine zeitliche Begrenzung der Erstattungspflicht. Wegfall der Erstattungspflicht mit Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb des Frauenhauses. keine Erstattung von Vorhaltekosten des Frauenhauses während einer über dreimonatigen Abwesenheit wegen Rehabilitationsmaßnahme. Erstattungsfähigkeit und Rechtmäßigkeit der Unterbringungskosten. Anforderungen an die Vergütungsvereinbarung

 

Orientierungssatz

1. Eine Person sucht Zuflucht im Frauenhaus im Sinne von § 36a SGB 2, wenn sie dort tatsächlich Aufenthalt nimmt und Schutz vor häuslicher Gewalt sucht. Es kommt nicht darauf an, ob im Frauenhaus ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird. "Zuflucht suchen" lässt sich als tatsächliches Aufhalten verstehen, um der Gefährdungssituation am bisherigen Wohnsitz bzw gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht mehr ausgesetzt zu sein.

2. Hat die Person tatsächlich Aufenthalt im Frauenhaus genommen, so ist im Rahmen des § 36a SGB 2 eine konkrete Bedrohungssituation nicht im Sinne eines Tatbestandsmerkmals zu überprüfen, sondern sie mit der Aufnahme im Frauenhaus typisierend zu unterstellen. Auch wenn man das Vorliegen einer Bedrohungslage verlangen würde, wäre es unerheblich, dass diese womöglich anders oder einfacher abzuwenden gewesen wäre.

3. § 36a SGB 2 enthält keine zeitliche Begrenzung der Erstattungspflicht des für den vorherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort zuständigen kommunalen Trägers. Die Erstattungspflicht endet, sobald ein gewöhnlicher Aufenthalt außerhalb des Frauenhauses begründet wird.

4. Vorhaltekosten des Frauenhauses für die Zeit einer über dreimonatigen Rehabilitationsmaßnahme sind nicht zu erstatten, da der tatsächliche Aufenthalt im Frauenhaus bei mehr als kurzzeitiger Abwesenheit entfällt.

5. Erstattungsfähig nach § 36a SGB 2 sind die - rechtmäßig erbrachten - reinen Unterbringungskosten für die Zuflucht suchenden Personen, sodass im Tagessatz des Frauenhauses enthaltene Verpflegungs- oder Haushaltsenergiekosten nicht zu erstatten sind.

6. Rechtmäßig erbracht sind die Unterbringungskosten im Sinne des § 36a SGB 2 nur, soweit der erstattungsberechtigte Grundsicherungsträger auf der Grundlage einer Vereinbarung nach § 17 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 2 wirksam verpflichtet war, die Kosten zu vergüten.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. September 2016 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 542,01 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 39/40, der Beklagte trägt 1/40 der Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger zur Erstattung von Leistungen aufgrund eines Frauenhausaufenthalts dreier nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) Leistungsberechtigter verpflichtet ist.

Die 1974 geborene S. [im Folgenden: Frau S.] und ihr 1996 geborener Sohn sowie ihre 2002 geborene Tochter wohnten mit dem damaligen Lebensgefährten von Frau S., Herrn T., in C-Stadt (Landkreis Aschaffenburg).

Nachdem es am 12. Juni 2008 zu Gewalttätigkeiten des Herrn T. gegen Frau S. gekommen war, floh Frau S. mit ihren Kindern von C-Stadt zunächst zu ihrer Schwester in D-Stadt und sodann in das im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gelegene E-Stadt. Dort kam sie ab 14. Juni 2008 zunächst im Stadtteil F-Stadt, F-Straße, bei Bekannten unter.

Am 24. Juni 2008 teilte das Frauenhaus E-Stadt dem Rechtsvorgänger des Beklagten [im Folgenden nur noch: Beklagter genannt] mit, dass es Frau S. und ihre Kinder aufgenommen habe, und ersuchte um Übernahme der Wohnkosten. Tatsächlich kam es aber zu keiner Aufnahme von Frau S. im Frauenhaus E-Stadt. Frau S. wohnte vielmehr weiterhin bei den Bekannten in F-Stadt, wurde aber von den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses in E-Stadt betreut. Frau S. äußerte diesen gegenüber den Wunsch, nach G-Stadt bei H-Stadt zu ziehen. Die Mitarbeiterinnen in E-Stadt unterstützten sie und stellten den Kontakt zum Frauenhaus in G-Stadt her (Telefonvermerk des Beklagten über ein Telefonat mit dem Frauenhaus E-Stadt, Frau H., am 7. Oktober 2010, Verwaltungsakte Bekl. [VA] Bl. 532).

Der Beklagte bewilligte Frau S. und ihren Kindern auf ihren Antrag vom 24. Juni 2008 ab 24. Juni 2008 mit Bescheid vom 27. Juni 2008 SGB II-Leistungen zum Lebensunterhalt ohne Kosten der Unterkunft.

Ab dem 15. Juli 2008 mietete Frau S. nach vorheriger Genehmigung durch den Beklagten eine Wohnung in E-Stadt (F-Straße, Gerichtsakte [GA] Bl. 147) an und führte dort Malerarbeiten aus. Der Beklagte änderte die Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 22. Juli 2008 und bewilligte Kosten der Unterkunft ab 15. Juli 2008 und führte diese direkt an den Vermieter ab.

Tatsächlich bezog Frau S. die angemietete Wohnu...

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