Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidung zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges eines Bronchialkrebses mit Einflüssen einer Haft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Führt ein Lungenkarzinom innerhalb von 5 Monaten zum Tode, treten alle anderen Gesundheitsstörungen, auch anerkannte Schädigungsfolgen so in den Hintergrund, daß sie als Ursachen im Rechtssinne ausscheiden.

2. Entfällt aus Zeitgründen die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges eines Krebsleidens mit Einflüssen einer Haft, so fehlt es an einer Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Kannleistung nach § 1 Abs. 3 S. 2 BVG.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 3 Sätze 1-2, § 48

 

Verfahrensgang

SG Darmstadt (Urteil vom 08.04.1970)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. April 1970 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1906 geborene Ehemann der Klägerin H. R. (künftighin R. genannt), der vom 27. Juli 1948 bis 21. Mai 1953 in Ostdeutschland wegen angeblicher Spionage inhaftiert war, ist am 15. Januar 1966 verstorben. Die von OMRM Dr. H. ausgestellte amtsärztliche Bescheinigung führte als Todesursache Herzinfarkt, Arteriosklerose, Coronarsklerose, abszedierende Pneumonie und Lungentumor auf.

R. hatte aufgrund der Untersuchung durch Dres. O. und B. mit Erstanerkennungsbescheid vom 4. März 1955 eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. wegen Schädigungsfolgen:

„1) Restfolgen eines Eiweißmangelschadens.

2) Reizlose Narben (funktionell bedeutungslos) am linken Unterschenkel”

bezogen.

Die auf seinen Erhöhungsantrag durchgeführten Untersuchungen durch Dres. H., U., B. und H. hatten ergeben, daß Folgen einer während der Haft durchgemachten Dystrophie weder klinisch noch labormäßig nachzuweisen seien. Als einziger auffälliger Befund habe eine gewisse vegetative Überregbarkeit mit Neigung zu Pulsbeschleunigung bestanden. Die klinische, röntgenologische und elektrocardiografische Herzuntersuchung habe keinen organischen krankhaften Herzbefund ergeben.

Der hiernach erteilte Bescheid vom 10. Oktober 1957 führte als Schädigungsfolgen lediglich noch auf:

„1) Narbe am linken Unterschenkel und 4. Zehe links (MdE – 0 v.H.),

2) geringe Blasenschließmuskelschwäche (MdE unter 10 v.H.)”.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1957).

Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 29. November 1961 bezog R. seit 1. Dezember 1960 eine Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit. da die Erwerbsfähigkeit wegen eines frischen Herzvorderwandspitzeninfarktes, peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen beider Beine, vorwiegend aber links bei allgemeiner Gefäßsklerose, einer geringen Blasenschließmuskelschwäche, Narben am linken Unterschenkel, an der vierten Zehe links und am rechten Jochbogen sowie wegen Regulationsstörungen im unwillkürlichen Nervensystem eine wesentliche Einschränkung erfahren hatte.

Das Sozialgericht Darmstadt hat nach Beweisaufnahme durch Einholung von Gutachten von Prof. Dr. S. vom 3. Oktober 1959, Prof. Dr. P. vom 8. Mai 1961 mit der Ergänzung vom 23. Februar 1963 und von Prof. Dr. R. vom 23. Juli 1962 mit Urteil vom 29. Mai 1963 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Gefäßveränderungen seien nicht als Schädigungsfolgen anzuerkennen. Ein Zusammenhang der organischen Veränderungen der Herzkranzgefäße mit den Belastungen der politischen Haft bestehe nicht. Vielmehr sei nach bisheriger ärztlicher Erfahrung auf diesem Gebiet zu sagen, daß die Haftsituation mit ihren zumeist dystrophischen Ernährungsbedingungen den schicksalmäßigen Ablauf der Gefäßveränderungen nicht gefördert und beschleunigt habe, sondern sogar verhindert oder bewirkt habe, daß er stationär geblieben sei. Auch für die Entstehung des Gefäßleidens durch ein haftbedingtes Hochdruckleiden habe sich kein Anhalt ergeben. Es handele sich um eine schicksalhafte Entwicklung.

Nachdem Prof. Dr. A. in dem Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht das Gutachten vom 17. Dezember 1964 erstattet hatte, erließ der Beklagte nach Anhörung des Facharztes für innere Krankheiten Dr. V. den Neufeststellungsbescheid vom 29. Oktober 1965, mit dem eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. ab 1. Dezember 1957 gewährt worden ist. Der Bescheid führte als Schädigungsfolgen auf:

„1) Narbe am linken Unterschenkel.

2) Geringe Blasenschließmuskelschwäche.

3) Herzmuskelschädigung”,

und zwar zu 1) und zu 2) hervorgerufen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG), zu 3) verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 4 HHG.

In dem weiteren Gutachten vom 12. September 1966 vertrat Prof. Dr. S. die Ansicht, weder für den Hochdruck noch für die Coronarsklerose lasse sich eine meßbare Begünstigung, d.h. eine abgrenzbare Mitverursachung durch schädigende Einflüsse der sowjetzonalen Haft wahrscheinlich machen.

Nachdem Prof. Dr. R. das Gutachten vom 9. Mai 1967 abgegeben hatte, schlossen die Klägerin als Rechtsnac...

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