Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzliche Rentenversicherung bei Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen

 

Orientierungssatz

Sieht die Satzung eines berufsständischen Versorgungswerks (hier: Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen) keine Leistungen für die Zeiten der Kindererziehung vor, sind diese Zeiten vollständig in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen.

 

Normenkette

SGB VI § 56 Abs. 1-2; GG Art. 3, 6 Abs. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2004 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom

1. 28. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2003 verurteilt, zugunsten der Klägerin die Zeit vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2002 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 1. November 2001 bis

2. 31. Oktober 2002 als Berücksichtigungszeit vorzumerken.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens, einschließlich des Revisionsverfahrens, zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten (KEZ) und Kinderberücksichtigungszeiten (BZ).

Die Klägerin wurde nach ihrer juristischen Referendarzeit bei der Beklagten nachversichert und war anschließend arbeitslos. 1999 wurde sie Mutter eines Kindes. Seit 1. November 2001 war sie wegen einer Beschäftigung als Rechtsanwältin Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen. Auf ihren Antrag wurde sie deswegen zu diesem Zeitpunkt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI mit Bescheid vom 1. Februar 2002 von der Versicherungspflicht befreit.

Mit Bescheid vom 28. November 2002 erkannte die Beklagte die Zeit vom 1. Juni 1999 bis 31. Oktober 2001 als Tatbestand der Kindererziehung und die Zeit vom 9. Mai 1999 bis 31. Oktober 2001 als solcher der Berücksichtigungszeit an; dazu lag die entsprechende Zustimmung des Vaters des Kindes vor. Die Vormerkung der Zeit vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2002 als Kindererziehungszeit und vom 1. November 2001 bis 31. Mai 2002 als Berücksichtigungszeit lehnte die Beklagte wegen der Befreiung von der Versicherungspflicht ab. Der dagegen erhobene Widerspruch der Klägerin blieb ebenso erfolglos (Bescheid vom 15. August 2003) wie das anschließende gerichtliche Verfahren (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juni 2004, Senatsurteil vom 14. Dezember 2004 -L 2 RA 119/04). Der Senat hat die Beklagte nicht zur Vormerkung von Kindererziehungszeiten als verpflichtet angesehen, seit die Klägerin bei laufender Kindererziehungszeit auf eigenen Antrag von der Rentenversicherungspflicht rechtmäßig befreit worden war.

Auf die Revision der Klägerin wurde das Senatsurteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Zwar ergebe sich aus dem einfachen Recht, dass die Beklagte zu der streitigen weiteren Vormerkung nicht verpflichtet sei. Der Ausschluss von einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen KEZ und BZ sei aber aus Gründen der Systemabgrenzung nur dann gerechtfertigt, wenn ein prinzipiell systembezogen gleichwertiger Schutz wegen Kindererziehung wie in der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt werde. Es genüge nicht eine gleichwertige Absicherung wegen der Risiken des Alters, der Invalidität und des Todes, vielmehr müsse eine prinzipielle gleichwertige Anerkennung und Anrechnung des Vorleistungswertes der Kindererziehung in allen Arten der "befreienden" Altersvorsorge gesichert sein. Das Verbot der Vormerkung und Anrechnung von Tatbeständen an Beitragszeiten beziehungsweise an Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung sei bei von der Versicherungspflicht Befreiten nach Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 3 Abs. 1 GG nur dann gerechtfertigt, wenn die Kindererziehungszeiten systembezogen annähernd gleichwertig in der berufsständischen Versorgungseinrichtung berücksichtigt würden. Da der Senat keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen Kindererziehungszeiten überhaupt und gegebenenfalls systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt würden, und wie dies auf die Klägerin angewandt worden sei, habe auch noch nicht abschließend geklärt werden können, ob in diesem Fall eine verfassungskonforme Einengung des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift des § 56 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI geboten sei. Der Senat werde die erforderlichen Feststellungen zu treffen und gegebenenfalls die verfassungskonforme Auslegung zugrunde zu legen oder aber -bei gleichwertiger Berücksichtigung im Versorgungswerk den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts zu bestätigen haben.

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung die Akte der Klägerin vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Hessen beigezogen, außerdem die Satzung dieses Versorgungswerks. Weit...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge