Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch. Verzögerte Ausbildung. Überschreiten des Dreijahreszeitraums
Leitsatz (amtlich)
Auch eine mehr als dreijährige Dauer der Ableistung von Polizeivollzugsdienst kann, bei anschließender Fortsetzung der Berufsausbildung, die Weitergewährung des Kindergeldes gemäß § 2 Abs 3 S 2 Nr 2 BKGG über das 27. Lebensjahr hinaus rechtfertigen. Voraussetzung ist jedoch, daß die ursprüngliche Absicht, den Polizeivollzugsdienst auf drei Jahre zu beschränken, nur deshalb nicht realisiert wurde, weil ein Studien- oder sonstiger Ausbildungsplatz zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung stand und die sich anschließende Zeit nur der Überbrückung bis zur Erlangung eines solchen Platzes dient (Fortführung von BSG vom 29.10.1981 - 10/8b RKg 16/80 = SozR 5870 § 2 Nr 23).
Normenkette
BKGG § 2 Abs. 3 Nr. 2
Verfahrensgang
SG Gießen (Urteil vom 05.09.1989; Aktenzeichen S-12/Kg-165/88) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 5. September 1989 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Kindergeld für seinen Sohn … auch über dessen 27. Lebensjahr hinaus zusteht.
Der Sohn … des Klägers ist am 1960 geboren. Er legte im … sein Abitur ab. Am 1980 trat der Sohn des Klägers als Polizeivollzugsbeamter in den Dienst des Landes Hessen. Er war der Hessischen Bereitschaftspolizei zugewiesen. Bis 1982 war er Polizeiwachtmeister auf Probe. Mit Wirkung 1982 wurde er zum Polizeioberwachtmeister und 1983 zum Polizeihauptwachtmeister ernannt. Am 1984 beantragte er die Entlassung aus dem Dienst. Diese Entlassung ist mit Ablauf des … erfolgt.
Am 1983 hatte sich der Sohn des Klägers erstmals ohne Erfolg für das Wintersemester … um einen Studienplatz im Studiengang … bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) beworben. Zum 1984 nahm … an der …- Universität … ein Studium der Betriebswirtschaft auf. Das Studium wurde … 1988 abgeschlossen.
Von … 1984 an bezog der Kläger für seinen Sohn … Kindergeld. Durch Bescheid vom 1987 wurde die Bewilligung des Kindergeldes mit Ablauf des Monats 1987 aufgehoben, nachdem der Sohn des Klägers in diesem Monat das 27. Lebensjahr vollendet hatte.
Am … 1987 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den von seinem Sohn abgeleisteten Polizeivollzugsdienst die Weitergewährung des Kindergeldes über den Monat … 1987 hinaus. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom … 1987 diesen Antrag mit der Begründung ab, der Sohn des Klägers habe schon mehr als drei Jahre Polizeivollzugsdienst geleistet, so dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) nicht erfüllt seien. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom … 1988 zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte aus, nach dem Sinn des § 2 Abs. 3 Nr. 2 BKGG komme eine Berücksichtigung des Kindes über das 27. Lebensjahr hinaus nur dann in Betracht, wenn tatsächlich nach Ablauf von drei Jahren des freiwilligen Polizeivollzugsdienstes auf eigenen Wunsch ein Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis erfolge, um eine Berufsausbildung aufzunehmen. In der Regel könne dann davon ausgegangen werden, dass die freiwillige Dienstverpflichtung nur zum Zwecke der Erfüllung der Wehrdienstpflicht erfolgt sei. Scheide ein Polizeibeamter aber erst nach Ablauf dieser drei Jahre aus dem Polizeidienst aus, könne diese Vermutung nicht aufrechterhalten bleiben. Vielmehr müsse dann davon ausgegangen werden, dass hier ursprünglich eine zeitlich nicht begrenzte Berufsausübung angestrebt worden sei. Dies schließe eine Kindergeldgewährung nach Vollendung des 27. Lebensjahres aus.
Der Kläger hat dagegen Klage erhoben und beantragt, die Bescheide vom … 1987 und vom … 1987 sowie den Widerspruchsbescheid vom … 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld über das 27. Lebensjahr hinaus für die Zeit von Juni 1987 bis August 1988 zu zahlen. Durch Urteil vom 5. September 1989 hat das Sozialgericht Gießen unter Zulassung der Berufung den Bescheid vom … 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom … 1988 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, Kindergeld für den Sohn … des Klägers über das 27. Lebensjahr hinaus in gesetzlichem Umfang zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Beklagte wurde gleichzeitig dazu verurteilt, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe für seinen Sohn … Kindergeld auch für die Zeit nach Vollendung von dessen 27. Lebensjahr zu. Zwar sei bei einer über drei Jahre hinausgehenden freiwilligen Ausübung des Wehr- bzw. Polizeidienstes in der Regel davon auszugehen, dass der betreffende Soldat bzw. Polizist unabhängig von der gesetzlichen Wehrpflicht den berufsähnlichen Status eines Soldaten bzw. Polizisten erreichen wolle und sich nicht vorwiegend wegen der Wehrpflicht und anstelle des zu leiste...