Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nothilfe. Erstattungsanspruch eines Krankenhausträgers wegen stationärer Krankenhausbehandlung. Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Leistungsfall. Ansprüche gegen die beigeladene Krankenkasse. grenzüberschreitender Sachverhalt. anwendbares Recht. Kollisionsnormen der EGV 883/2004. Tatbestandsgleichstellungsgebot
Leitsatz (amtlich)
1. Kenntnis iS des § 18 SGB XII und § 25 SGB XII liegt im Grundsatz vor, wenn dem Sozialhilfeträger die konkrete Möglichkeit eines sozialhilferechtlichen Bedarfs bzw hinreichende Anhaltspunkte für die Hilfegewährung bekannt sind und er aufgrund dieser Umstände die Notwendigkeit zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen sehen muss.
2. Das Tatbestandsgleichstellungsgebot des Art 5 VO (EG) 883/2004 (juris: EGV 883/2004 ) ist nicht auf die Anwendung der Kollisionsnormen der VO (EG) 883/2004 zu erstrecken.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. Mai 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme von entstandenen Behandlungskosten für den deutschen Staatsangehörigen D. H., geb. 1948 (nachfolgend: Patient), nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum vom 4. April 2020 bis 20. April 2020.
Der Patient wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 31. Oktober 2007 nach unbekannt von Amts wegen abgemeldet und wohnte zuletzt in E-Stadt/Spanien. Er wurde am Donnerstag, den 4. April 2013 um 4:20 Uhr im Klinikum der M.-Universität, deren Trägerin die Klägerin ist, aufgenommen. Der Patient gab während der Aufnahme im Krankenhaus an, der Grenzübertritt aus dem Ausland habe am 4. April 2013 ca. um 1.00 Uhr nachts stattgefunden („Strassbourg/Mulhouse“). Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse und des zuletzt ausgeübten Berufs wurden keine Angaben gemacht. Er habe in Spanien keine Sozialhilfe bezogen. Die Aufnahme erfolgte seitens der Klägerin als Notfall wegen Leberzirrhose und akutem Nierenversagen. Operationen wurden am 10. und 16. April 2013 durchgeführt. Die Klägerin meldete den Erstattungsanspruch am 4. April 2016 bei der Beklagten (Faxversand um 14:26 Uhr - Anlage K1 Bl. 96 der Akte) unter Bezeichnung des Namens und Geburtsdatums des Patienten, des Aufnahmetages und der Fachabteilung wie folgt an: „Kostenträger ungeklärt. (…) der Obengenannte musste als Notfall stationär im Klinikum (…) aufgenommen werden. Da ein Zahlungspflichtiger bis heute noch nicht feststeht und sich Ermittlungen voraussichtlich noch über einen längeren Zeitraum hinziehen werden, melde ich hiermit meinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Träger der Sozialhilfe an. Sollten meine Feststellungen ergebnislos verlaufen, erhalten sie unaufgefordert eine gültige Kostenanmeldung mit dem wirtschaftlichen Fragebogen (…) gemäß den Vorschriften des SGB XII nachgereicht.“
Die Klägerin stellte unter dem Datum vom 8. April 2013 - eingegangen am 17. April 2013 - einen Kostenerstattungsantrag im Rahmen einer Notfallbehandlung gemäߧ 25 SGB XII beim Jugend- und Sozialamt der Beklagten.
Der Patient verstarb am XX.XX.2013. Ausweislich der Beklagtenakte stellte die Klägerin am 8. August 2013 der Beklagten 34.589,96 € in Rechnung.
Am 22. April 2013 sprach der Sohn des Patienten beim Jugend- und Sozialamt vor und gab an, sein Vater sei gelernter Buchbinder gewesen. Zuletzt habe er ihn im Jahr 2011 während eines Urlaubs in Mallorca getroffen. Er sei nach Spanien ausgewandert und habe dort mit seiner Lebensgefährtin gelebt. Diese habe Anfang April 2013 angerufen und dem Sohn mitgeteilt, dass es dem Patienten schlecht ginge. Deshalb sei der Sohn Anfang April 2013 mit dem Flugzeug nach Spanien geflogen, um ihm zu helfen. Dort habe er den Vater in eine Klinik einweisen wollen. Dies sei ihm aber verweigert worden mangels Krankenversicherung. Daraufhin habe ein Bekannter des Vaters ihm geholfen, diesen nach Deutschland zu bringen. Nach dem Grenzübertritt am 4. April 2013 sei er in der Universitätsklinik als Notfall eingeliefert und dort operiert worden. Weiter gab der Sohn des Patienten an, dass sein Vater bis zum Jahre 2006 bei der Beigeladenen krankenversichert gewesen sei. Dort habe er am 12. April 2013 einen Wiederaufnahmeantrag abgegeben. Die Bearbeitung sei von dort verweigert worden, da keine Meldeadresse in Deutschland vorliege. Der Vater habe zuletzt weder über Einkommen oder Vermögen verfügt. Die Lebensgefährtin habe alles, was sie habe mitnehmen können, an sich genommen (Bl. 12 Verwaltungsakte - VA). In einem Antrag auf Übernahme der Begräbniskosten gab der Sohn des Patienten an, der Patient habe zuletzt weder über Einkommen noch Vermögen verfügt (Bl. 67 VA).
Mit Bescheid vom 26. März 2014 (Bl. 64 VA) lehnte das Jugend- und Sozialamt der Beklagten den Antrag auf Kostenübernahme der...