Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nothilfe. Erstattungsanspruch eines Krankenhausträgers wegen stationärer Krankenhausbehandlung. Eilfall. Möglichkeit zur Information des Sozialhilfeträgers. Geltendmachung eines Anspruchs auf Krankenhilfe nach § 19 Abs 6 iVm § 48 SGB 12 im Berufungsverfahren. sozialgerichtliches Verfahren. Klageänderung. Änderung des Streitgegenstandes
Leitsatz (amtlich)
Zu dem für den Streitgegenstand maßgeblichen Klagegrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Beteiligten ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht zu unterbreiten hat. Eine Mehrheit von Streitgegenständen liegt auch bei gleichem Antrag dann vor, wenn die materiell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche erkennbar unterschiedlich ausgestaltet, weil die Tatbestandsvoraussetzungen an unterschiedlichen Lebenssachverhalten anknüpfen (hier bejaht für die Tatbestandsvoraussetzungen von § 19 Abs 6 SGB XII einerseits und § 25 SGB XII andererseits).
Orientierungssatz
Am sozialhilferechtlichen Moment des Eilfalles im Sinne des § 25 S 1 SGB 12 fehlt es in der Regel, wenn der Patient während der Dienstzeiten des Sozialhilfeträgers ins Krankenhaus eingeliefert wird und sein Zustand es zulässt, zunächst den Sozialhilfeträger zu informieren (vgl BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 13/12 R = FEVS 66, 1 = juris RdNr 17).
Tenor
Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. November 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beider Instanzen zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattungspflicht für die Krankenhausbehandlung des Herrn A. A., geboren 1946, verstorben 2013, im Zeitraum vom 31. Juli 2013 bis 4. September 2013.
A. A. (im Weiteren auch: der Betroffene) war deutscher Staatsangehöriger und wohnte mit seiner Ehefrau C. C. zuletzt in Kairo/Ägypten. Nach 1983 war er überwiegend im nicht europäischen Ausland berufstätig. Im Jahr 2006 hielt er sich für wenige Monate in Deutschland auf, bezog Arbeitslosengeld II und war bei der Beigeladenen versichert. In den Jahren 2006 und 2007 unterhielt er eine Wohnung in Alexandria/Ägypten. Aus Verträgen aus dieser Zeit geht auch eine Wohnung in D-Stadt hervor. Seine Meldung in der Bundesrepublik Deutschland erhielt er aufrecht. Beruflich war er zuletzt ausweislich der Angaben gegenüber der Beigeladenen und seiner Schwägerin, Frau M., gegenüber dem Beklagten als selbständiger Berater bzw. im Bereich Marketing in den Vereinigten Arabischen Emiraten (Dubai) und Saudi-Arabien tätig. Ab 1983 bis mindestens 2010 war er bei Lloyd in Dubai privat krankenversichert; die Versicherung umfasste nach den Angaben des Betroffenen gegenüber der Beigeladenen keinen Auslandskrankenversicherungsschutz. Im Jahr 2010 bemühte er sich wegen des bevorstehenden Altersrentenbezuges um eine Aufnahme in die Krankenversicherung der Rentner. Gegenüber der Beigeladenen teilte die Schwägerin des Betroffenen mit, er habe im April 2011 einen Schlaganfall in Ägypten erlitten und sei dort auch stationär behandelt worden. Er bezog eine Rente der Deutschen Rentenversicherung Bund, ab 1. Juli 2013 mit einem Zahlbetrag von 635,32 €. Die Korrespondenz mit der Deutschen Rentenversicherung Bund wurde über die Adresse C-Straße in C-Stadt, der Anschrift seines Bruders und der Schwägerin, geführt. Nach Angaben der Beigeladenen war Herr A. noch bis zum September 2013 im Besitz einer Versicherungskarte der Beigeladenen, es seien aber ab 2011 keine Leistungen mehr abgerechnet worden. Den Krankenhausaufenthalt 2011 in Ägypten hat nach den Angaben der Schwägerin des Betroffenen der Vater der Ehefrau bezahlt.
Am 15. Juli 2013 meldete sich die Schwägerin des Herrn A. bei dem Gesundheitsamt des Beklagten und teilte mit, der Hausarzt ihres Schwagers habe bei diesem eine Tuberkulose festgestellt. Ihr Schwager sei jedoch nicht krankenversichert. Er lebe viele Monate des Jahres bei seiner Frau in Ägypten und sei immer nur für wenige Monate in Deutschland. Er beziehe seit 2010 eine Rente. Vor 2006 sei er einmal freiwillig bei der AOK versichert gewesen.
Daraufhin wurde der Betroffene am 15. Juli 2013 in das St. Katharinen-Krankenhaus Frankfurt am Main stationär aufgenommen und erteilte der Beklagte dem genannten Krankenhaus unter dem 22. Juli 2013 Kostenzusage zur Abklärung des Tuberkuloseverdachtes für die Dauer von 14 Tagen. Im Kostenübernahmevordruck findet sich folgender Eintrag: „Patient bezieht eine Rente und lebt mietfrei i. Haus seines Bruders; ein Krankenversicherungsverhältnis besteht nicht; seine Ehefrau verfügt über kein Einkommen oder Ve...