Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Implantation eines Neurostimulators zur epiduralen Rückenmarkstimulation. allgemeines Qualitätsgebot. Beachtung struktureller oder prozeduraler Mindestanforderungen an die Behandlung auch ohne verpflichtende Vorgabe. Nichterfüllung der Voraussetzungen der S3-Leitlinie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das allgemeine Qualitätsgebot stellt auch Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität der Krankenhausbehandlung.

2. Werden bestimmte strukturelle oder prozedurale Mindestanforderungen an die Behandlung von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute aufgrund des Stands der medizinischen Erkenntnisse befürwortet, sind diese vom Krankenhaus auch ohne eine verpflichtende Vorgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses oder Normenverträge zu beachten.

3. Die Implantation eines Neurostimulators zur epiduralen Rückenmarkstimulation im Krankenhaus der Klägerin (Behandlungsjahr 2017) erfüllte die Voraussetzungen der S3-Leitlinie "Epidurale Rückenmarkstimulation zur Therapie chronischer Schmerzen" nicht und entsprach daher nicht den Anforderungen des Qualitätsgebots.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 03.04.2024; Aktenzeichen B 1 KR 91/22 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 13. Oktober 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 17.129,63 € festgelegt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung streitig.

Die Klägerin betreibt ein zugelassenes Allgemeinkrankenhaus (Plankrankenhaus) u.a. mit den Fachbereichen „Allgemein- und Gefäßchirurgie“ sowie „Unfallchirurgie“ und „Orthopädie“, jedoch ohne den Fachbereich „Neurochirurgie“.

In diesem Krankenhaus wurde in der Zeit vom 8. bis zum 22. November 2017 der bei der Beklagten versicherte H. S. (im Folgenden: Versicherter) vollstationär behandelt auf der Grundlage der wesentlichen Diagnosen ICD-10 M54.4 [Lumboischialgie] und R52.1L [Chronisch unbeeinflussbarer Schmerz]. Ihm wurde am 21. November 2017 ein Neurostimulator zur epiduralen Rückenmarkstimulation (engl.: spinal cord stimulation = SCS) operativ implantiert [OPS 5-039.n1: Implantation eines Neurostimulators zur epiduralen Rückenmarkstimulation ohne Implantation einer Neurostimulationselektrode: Mehrkanalstimulator, vollimplantierbar, nicht wiederaufladbar].

Mit Datum vom 15. Dezember 2017 (GA Bl. 29) stellte die Klägerin der Beklagten für diese Behandlung einen Gesamtbetrag in Höhe von 17.129,63 € in Rechnung auf der Basis DRG I10B [andere Eingriff an der Wirbelsäule mit bestimmten komplexen Eingriff oder Halotraktion oder Para- /Tetrapl. oder Wirbelfraktur mit bestimmten Eingriff an Wirbelsäule, Spinalkanal und Bandscheibe ohne äußerst schwere CC oder bestimmte andere Operation an der Wirbelsäule mit äußerst schwere CC und ≫ 1 BT], der im Fall der Kodierung des Zusatzentgelts ZE141 [„Neurostimulator zur Rückenmarkstimulation oder zur Stimulation des peripheren Nervensystems, Mehrkanalstimulator, nicht wiederaufladbar, ohne Sondenimplantation“] angesteuert wird.

Die Beklagte lehnte die Zahlung vollständig ab. Unter Hinweis auf ein Strukturgutachten des MDK aus dem Jahr 2016 führte die Beklagte aus, im Leistungszeitraum seien die strukturellen Voraussetzungen für die Erbringung des Zusatzentgelts ZE141 nicht nachgewiesen und es liege keine gültige Abrechnungsvereinbarung für das Zusatzentgelt vor.

Die Klägerin hat am 12. November 2018 beim Sozialgericht Fulda Klage auf Zahlung des Rechnungsbetrags erhoben.

Die Klägerin hat zur Begründung ausgeführt, entgegen der Auffassung der Beklagten setze das Zusatzentgelt ZE141 keine vorherige Vereinbarung im Rahmen einer Budgetvereinbarung voraus, wenn es dem Versorgungsauftrag des Krankenhauses entsprechend berechnet werde. Auch sei die Auffassung der Beklagten falsch, der Versorgungsauftrag ihres Krankenhauses umfasse nicht die Implantation eines Neurostimulators. Die Implantation eines Neurostimulators werde vom Fachgebiet „Chirurgie“ umfasst. Unstreitig bestehe für ihre Klinik ein Versorgungsauftrag für dieses Fachgebiet. Die streitige Maßnahme erfordere keinen Versorgungsauftrag für das Fachgebiet „Neurochirurgie“. Im Übrigen setze die Kodierung der Implantation eines Neurostimulators keine besondere Qualifikation oder Strukturmerkmale voraus.

Die Beklagte hat dem entgegnet, nach dem Strukturgutachten des MDK aus dem Jahr 2016 erfülle das Krankenhaus der Klägerin nicht die personellen, fachlichen und sachlichen Voraussetzungen für die Berechnung des Zusatzentgelts ZE 141. Das Krankenhaus der Klägerin verfüge nicht über die nach der S3-Leitlinie „Epidurale Rückenmarkstimulation zu Therapie chronischer Schmerzen“ erforderliche Profession der Neurochirurgie. Insofern stelle sie infrage, dass die streitige Leistung überhaupt in den Versorgungsauftrag des Krankenhauses der Klägerin falle. Nach der W...

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