Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsanspruch bei stationärer Unterbringung. Rücknahme einer Leistungsbewilligung. Ermessensausübung. Gerichtskostenfreiheit eines Rechtsstreits über die Feststellung von Sozialleistungen
Orientierungssatz
1. Dauert die Erkrankung eines Hilfebedürftigen, die ihn zur Ausübung einer Erwerbsarbeit außer Stande setzt (hier: längerfristige stationäre Unterbringung), länger als sechs Monate, ist davon auszugehen, dass er auf absehbare Zeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB 2 zu einer Erwerbsarbeit außer Stande ist und damit ein Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß SGB 2 nicht in Betracht kommt. Dieser Leistungsausschluss begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Lassen sich aus einem Bescheid zur Rücknahme von zuvor bewilligten Sozialleistungen keine Anhaltspunkte für eine Ermessensbetätigung in Bezug auf die Rücknahmeentscheidung erkennen und liegt auch nicht ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf Null vor, ist der Rücknahmebescheid rechtswidrig.
3. Ein Rechtsstreit zwischen zwei Trägern der Sozialhilfe über die Feststellung einer Sozialleistung nach § 95 SGB 12 ist gemäß § 193 SGG gerichtskostenfrei.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 28. November 2005 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2005 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 1. Dezember 2004 bewilligten Leistungen für die Zeit vom 1. Februar 2005 bis einschließlich 31. Mai 2005 in Höhe von 345,00 EUR monatlich an den Kläger zu erstatten. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs des Beigeladenen gegenüber der Beklagten auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und die Auszahlung dieser Leistungen an sich.
Der Beigeladene war vom 15. Oktober 2001 bis zum 31. Mai 2005 im K.-W.-Haus in A-Stadt untergebracht. Die Einrichtung wird vom B.-Zentrum gGmbH betrieben, deren Träger die C. Werkstätten e.V. und das B. Kreuz A-Stadt e.V. sind. Der Kläger gewährte dem Beigeladenen für diese Maßnahme Eingliederungshilfeleistungen bis zum 31. Dezember 2004 nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), ab 1.1.2005 nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Die dem Beigeladenen bis zum 31. Dezember 2004 bewilligte Arbeitslosenhilfe zahlte die Agentur für Arbeit auf seinen Erstattungsantrag an den Kläger aus. Auf seinen Antrag vom 16. September 2004 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 1. Dezember 2004 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2005 in Höhe von monatlich 345,00 EUR. Die Leistung für den Monat Januar 2005 wurde an den Kläger überwiesen. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2004, bei der Agentur für Arbeit eingegangen am 27. Dezember 2004, hat der Beigeladene Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2004 erhoben und geltend gemacht, die Kosten für Unterkunft und Heizung seien nicht berücksichtigt worden. Mit Schreiben vom 6. Januar 2005, bei der Beklagten eingegangen am 10. Januar 2005, legte auch der Kläger unter Hinweis auf seine Antragsbefugnis nach § 95 SGB XII Widerspruch gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2004 ein. Mit bei der Beklagten am 4. Februar 2005 eingegangenem Schreiben teilte das B.-Zentrum mit, dass nach vorläufiger Fallprognose davon auszugehen sei, dass der stationäre Aufenthalt des Beigeladenen voraussichtlich länger als sechs Monate dauern werde.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2005 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung vom 1. Januar 2005 auf, da der Beigeladene in einer stationären Einrichtung für länger als sechs Monate untergebracht sei. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 1. März 2005, bei der Beklagten eingegangen am 7. März 2005, Widerspruch ein. Eine Rücknahme komme lediglich nach § 45 SGB X und nur für die Zukunft in Betracht, da sich der Beigeladene für Januar und Februar auf Vertrauensschutz berufen könne. Er habe das Einkommen als Kostenbeitrag zu den von dem Kläger übernommenen Heimkosten einzusetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2005 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unzulässig zurück. Der Kläger sei nicht nach § 95 SGB XII berechtigt, Widerspruch gegen die den Beigeladenen betreffenden Bescheide einzulegen. Nach § 95 SGB XII sei der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe berechtigt, die Feststellung der Sozialleistung zu betreiben sowie Rechtsmittel einzulegen. Erstattungsberechtigt sei der Sozialhilfeträger, wenn feststehe, dass die gewährte Sozialhilfeleistung nachrangig sei. Vorliegend sei der Kläger als überörtlicher Sozialhilfeträger dem Beigeladenen gegenüber allein zur Leistungsg...