Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung. vollstreckungsähnliche Entscheidung. Beurteilungsermessen. Angemessenheit. angemessene Höhe. Unterhaltstitel. Vollstreckung. Pauschalierung. Sicherheitszuschlag

 

Leitsatz (amtlich)

Die Höhe einer (titulierten) Unterhaltsverpflichtung ist zwar Ausgangspunkt, aber nicht Maßstab der Angemessenheit einer Abzweigung.

Dem Leistungsträger steht ein Beurteilungsermessen zu, nach welchem pauschalierten Verfahren er die angemessene Höhe bestimmt.

Ähnlich der Vollstreckung eines Unterhaltstitels ist bei der Abzweigung nach § 48 SGB 1 in einem zweiten Schritt zu prüfen, wie hoch der dem Leistungsbezieher zu belassende Anteil der Leistung ist.

Der dem Leistungsempfänger nach Abzweigung verbleibende Anteil kann nach der Düsseldorfer Tabelle (Selbstbehalt), den entsprechenden Richtlinien des zuständigen Oberlandesgerichts, dem doppelten Eckregelsatz der Sozialhilfe oder der Anlage zu § 850c ZPO pauschaliert errechnet werden.

Dabei kann der Leistungsträger noch einen Sicherheitszuschlag (ca. 10%) hinzurechnen.

Bei Glaubhaftmachung eines besonderen Bedarfs (etwa wegen hoher Miete) ist dieser vom Leistungsträger zu berücksichtigen (vergleichbar § 850f ZPO)

 

Normenkette

SGB I § 48; BGB §§ 1609, 1615f; ZPO §§ 850, 850c, 850d, 850f

 

Verfahrensgang

SG Kassel (Urteil vom 20.01.2000; Aktenzeichen S 11 AL 506/98)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. Januar 2000 geändert.

Die Bescheide der Beklagten vom 22. Januar 1998, 28. April 1998, 28. Juli 1998, 30. September 1998, 13. Januar 1999, 15. Februar 1999, 23. Februar 1999, 13. September 1999, 8. Oktober 1999, 15. November 1999 und vom 12. Januar 2000 werden ebenfalls geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, über die Abzweigung hinsichtlich der Zeit ab 1. Januar 1998 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers für die erste Instanz sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers für die zweite Instanz zu erstatten.

Im übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Es geht in dem Rechtsstreit um die Abzweigung zugunsten des Beigeladenen aus dem Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe ab 1. Januar 1998 bzw. aus dem Anspruch des Klägers auf Unterhaltsgeld vom 15. Februar bis 14. Oktober 1999.

Der 1944 geborene Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen der Beklagten. Er ist Vater des nichtehelichen Kindes D. A. (geboren 10.10.1984). Durch den Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992 (2 H 196/92 – vollstreckbare Ausfertigung vom 10.9.1992) wurde der vom Kläger monatlich im voraus zu entrichtende Regelunterhalt u.a. für die Zeit vom 10. Oktober 1996 bis zum 9. Oktober 2002 auf DM 383.– festgesetzt. Der Kläger ist ferner Vater des ehelichen Kindes J. A. (geboren 1.1.1989).

Bereits im März 1996 beantragte der Beigeladene als Pfleger des Kindes D. die Auszahlung eines angemessenen Teils der von der Beklagten zu erbringenden Leistung, da der Kläger seiner Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Mit Bescheid vom 15. April 1996 (nicht streitbefangen) zweigte die Beklagte zugunsten des Beigeladenen DM 73,38 wöchentlich ab. Im Widerspruch wies der Kläger darauf hin, dass die Abzweigung für ihn und seine Familie finanziell nicht zu verkraften sei und sie die Miete nicht mehr bezahlen könnten. Die Räumung drohe. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 1996 wies die Beklagte den Widerspruch zurück im wesentlichen mit der Begründung, durch den rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Eschwege vom 1. September 1992 stehe fest, dass eine Unterhaltspflicht des Klägers bestehe. Da der Kläger auch zum Zeitpunkt des Titels (September 1992) Arbeitslosenhilfe bezogen habe (DM 284,40 wöchentlich) und sich seine Einkommensverhältnisse (derzeit wöchentlich DM 331,20) nicht verschlechtert hätten, läge keine Härte vor. Die Orientierung an dem genannten Beschluss lasse keinen Ermessensfehler erkennen. Der Widerspruchsbescheid wurde durch Niederlegung am 4. Juni 1996 zugestellt. Eine rechtsanwaltliche Intervention vom 20. August 1996 wurde nach Hinweis der Beklagten auf die eingetretene Bestandskraft nicht weiterverfolgt.

Mit Schreiben vom 4. April 1997 beantragte der Werra-Meissner-Kreis die Abzweigung eines angemessenen Teils zugunsten des Kindes J., der monatliche Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) in Höhe von DM 314.– erhalte. Der Anspruch war nicht tituliert. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 15. April 1997 ab, da die dem Leistungsempfänger zustehende wöchentliche Leistung nur zur Deckung des eigenen Unterhaltes ausreiche. (Bei der Berechnung legte die Beklagte eine monatliche Leistung in Höhe von DM 1.388,40 zugrunde, setzte davon einen Freibetrag in Höhe von DM 1.300.– ab, errechnete als Teilungsmasse DM 88,40 und zog davon den titulierten Anspruch ab.)

Mit Pfändungs- und Überweisungsv...

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