nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenhilfeanspruch. Abzweigung. Unterhaltstitel. Ermessensausübung. Pfändungsschutz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Unterhaltstitel regelt nicht, ob und in welcher Höhe die konkrete Sozialleistung zur Befriedigung des Unterhaltsanspruchs verwertet werden kann und ob dies gegebenenfalls im Wege der Abzweigung geschehen darf. Vielmehr ist auch bei Vorliegen eines Unterhaltstitels die Leistungsfähigkeit des Unterhaltschuldners zu prüfen und dabei sein konkret notwendiger Selbstbehalt festzulegen. Dieser kann – außerhalb des Beitrittsgebiets – grundsätzlich nach der Düsseldorfer Tabelle bestimmt werden, als zwingende Ermessensgrenzen sind aber die Pfändungsschutzbestimmungen der §§ 850d, 850f ZPO zu beachten.

2. Die abzweigende Behörde unterschreitet daher ihren Ermessenspielraum, wenn sie annimmt, sie sei hinsichtlich der Höhe der Abzweigung an den ihr vorliegenden Unterhaltstitel gebunden und dürfe hiervon nur unter den Voraussetzungen abweichen, die eine Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO begründeten.

 

Normenkette

SGB I § 48 Abs. 1, § 39 Abs. 1 S. 2; ZPO §§ 850d, 850f, 323

 

Verfahrensgang

SG Dortmund (Entscheidung vom 10.04.2000; Aktenzeichen S 29 AL 66/96)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.04.2000 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte einen Teil der dem Kläger zustehenden Arbeitslosenhilfe (Alhi) zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht abzweigen durfte.

Der 1952 geborene Kläger steht seit 1986 mit nur unwesentlichen Unterbrechungen im Leistungsbezug der Beklagten. Seit dem 15.01.1987 erhält er Alhi. Der wöchentliche Leistungssatz belief sich ab dem 19.09.1995 auf 234,00 DM und ab dem 01.01.1996 auf 240,60 DM.

Der Kläger ist der Vater der am 00.00.1988 geborenen Beigeladenen zu 3). Am 23.12.1988 verpflichtete er sich vor der ermächtigten Urkundsperson des Kreises D in einer Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft und Verpflichtung zur Unterhaltsleistung, der Beigeladenen zu 3) ab dem 25.10.1988 den Regelunterhalt zu zahlen. Dieser betrug für die Zeit ab Vollendung des 6. Lebensjahres bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres 318,- DM monatlich (Beschluss des Amtsgerichts Lüdinghausen vom 11.09.1992 - Az. 4 H 201/92), ggf. abzüglich des hälftigen Kindergeldes.

Da der Kläger seinen Unterhaltspflichten nicht nachkam, zweigte die Beklagte auf Antrag des Kreisjugendamtes D, dem die Amtspflegschaft über die Beigeladene zu 3) übertragen war, von seiner Alhi 73,38 DM (318,- DM x 3: 13) wöchentlich zugunsten der Beigeladenen zu 3) ab (Bescheid vom 25.09.1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.1996). Zur Begründung führte sie aus, sie habe bei pflichtgemäßer Ermessensausübung die Unterhaltsverpflichtung nicht mehr prüfen müssen, weil ein für sie verbindlicher Unterhaltstitel vorliege. Daher komme es allein darauf an, ob sich die für den festgesetzten titulierten Unterhaltsbetrag maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse inzwischen wesentlich, d.h. um wenigstens 10 v.H. zu Lasten des Klägers verändert hätten. Das sei jedoch nicht der Fall.

Aufgrund dieses Bescheides wurden für die Zeit vom 19.09.1995 bis 29.04.1996 2.174,08 DM der Alhi des Klägers unmittelbar an den Kreis D ausgezahlt. Für die Zeit vom 30.04.1996 bis zum 31.07.1999 wurden 12.379,29 DM von der Alhi des Klägers abgezweigt, die bislang weder an den Kläger noch an einen der Träger der Jugendhilfe ausgezahlt worden sind. Seit dem 01.08.1999 erfolgt wegen nachgewiesener Sozialhilfebedürftigkeit keine Abzweigung mehr von den Leistungen des Klägers.

Mit der gegen die Abzweigung zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen Klage hat der Kläger der Beklagten die Unterschreitung des ihr gesetzlich eingeräumten Ermessens vorgeworfen, weil die Beklagte nicht berücksichtigt habe, dass sein Einkommen durch die Abzweigung unter den gesetzlichen Pfändungsfreibetrag sinke.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 25.09.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.02.1996 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid verteidigt.

Die vom SG beigeladenen Städte Selm und Bergkamen, die im Anschluss an den Kreis D für den Lebensunterhalt der Beigeladenen zu 3) aufgekommen sind, haben sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen.

Das SG hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Abzweigung der Alhi des Klägers ab September 1995 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 10.04.2000). Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Mit der Berufung gegen dieses Urteil verweist die Beklagte auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), aus der sich ergebe, dass rechtskräftige Unterhaltstitel den Umfang ihrer Abzweigungspflicht bestimmten. Das gelte...

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