Entscheidung zur Frage des Unfallversicherungsschutzes bei für eine Gemeinde verrichteten Arbeit.
Leitsatz (amtlich)
Verrichtet ein als Arbeitnehmer bei einem Dritten beschäftigter Gemeindeeinwohner außerhalb seines Arbeitsverhältnisses freiwillig für seine Wohnortgemeinde gegen Vergütung dem Gemeindewohl dienende Arbeiten, so ist er weder als selbständiger Unternehmer noch als „Schwarzarbeiter”, sondern vielmehr wie ein in Erfüllung bürgerlicher Pflichten (§ 22 Hess. Gemeindeordnung – Verrichtung von Naturaldiensten –) Tätiger zu behandeln. Er genießt somit Unfallversicherungsschutz bei dem für diese Gemeinde zuständigen Gemeindeunfallversicherungsträger.
Normenkette
RVO § 539; HGO § 22
Verfahrensgang
SG Wiesbaden (Urteil vom 18.09.1968) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 18. September 1968 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt gemäß § 1510 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Erstattung von für den Dachdeckergeselle M. R. (R.) erbrachter Leistung aus der Krankenversicherung in Höhe von 2.194,60 DM. Ausweislich der Unfallakten der Beklagten hatte R. von der Gemeinde S./Oberwesterwald den Auftrag erhalten, auf dem Feuerwehrgäretehaus Eternit-Wellplatten zu verlegen. Hierbei stürzte R. aus einer Höhe von etwa 3 m ab und zog sich nicht unerhebliche Verletzungen zu. Zwischen der Gemeinde S. und R. war ein Stundenlohn von 4,50 DM vereinbart. Die Arbeiten sollten nach Feierabend ausgeführt werden und hätten etwa 30–40 Stunden in Anspruch genommen. Mit Bescheid vom 24. Februar 1967 lehnte die Beklagte einen Entschädigungsanspruch des R. ab. Dieser sei gelernter Dachdecker und stehe als solcher in einem ständigen Beschäftigungserhältnis bei dem Dachdeckermeister K. H. in F. R. habe in keinem Beschäftigungserhältnis zur Gemeinde S. gestanden. Seine Tätigkeit sei Ausfluß eines zwischen ihm und der Gemeinde zustandegekommenen Werkvertrages gewesen, der die Anwendung des § 539 Abs. 1 RVO ausschließe. Auch § 539 Abs. 2 RVO komme nicht in Betracht, da die werkvertraglichen Bindungen es nicht zuließen, daß R. „wie ein Beschäftigter” tätig gewesen sein konnte. Auch § 657 Abs. 1 RVO könne nicht angewendet werden, da ebenfalls diese Bestimmung voraussetze, daß es sich bei dem Verletzten um einen nach § 539 Abs. 1 oder Abs. 2 RVO Versicherten handele. Der Bescheid wurde gegenüber R. rechtsverbindlich, da dieser kein Rechtsmittel eingelegt hatte.
Eine Ausfertigung dieses Bescheides wurde auch der Klägerin übersandt. Sie erhob hiergegen am 22. März 1967 Klage bei dem Sozialgericht Koblenz, das sich mit Beschluß vom 26. April 1967 für örtlich unzuständig erklärte und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Wiesbaden verwies. Zur Begründung der Klage wurde u.a. geltend gemacht: R. sei aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses als gelernter Dachdecker bei der Fa. K. H. in F. bei ihr pflichtversichert. Am Unfalltag sei R. sowie dessen Bruder von dem Bürgermeister der Gemeinde S. gebeten worden, das schadhafte Dach des gemeindeeigenen Feuerwehrhauses mit Eternit-Wallplatten bei einem vereinbarten Stundenlohn von 4,50 DM zu decken. Die Gemeinde S. müsse als Unternehmer i.S. des § 657 Abs. 1 Nr. 1 RVO angesehen werden. Bei R. habe es sich im Zeitpunkt des Unfalls um einen Versicherten i.S. des § 539 RVO gehandelt. Nach Auskunft des Bürgermeisters der Gemeinde S. sei kein Werkvertrag geschlossen worden. Die Arbeiten hätten so billig wie möglich gehalten werden sollen und seien aus diesem Grund nicht an einen Unternehmer vergeben worden. R. und sein Bruder, der ebenfalls Dachdecker sei, seien nicht als Unternehmer in Erscheinung getreten. Das zum Dachdecken benötigte Material sei von der Gemeinde zur Verfügung gestellt worden. Die Gebrüder R. hätten nicht die Gefahr für das Gelingen der Dachdeckerarbeiten übernommen gehabt. Es sei nicht vereinbart gewesen, daß R. für evtl. Mängel oder Schäden, die aus seiner Arbeit entstünden, persönlich hafte. Dafür habe die Gemeinde aufzukommen gehabt.
Die Beklagte hielt demgegenüber an ihrer in dem Bescheid vom 24. Februar 1967 vertretenen Auffassung fest.
Das Sozialgericht vernahm den Dachdeckergesellen R. und Bürgermeister G. als Zeugen und verurteilte am 18. September 1968 die Beklagte, an die Klägerin 2.194,60 DM zu zahlen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen.
Gegen das am 16. Oktober 1968 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 5. November 1968 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe verkannt, daß R. gegenüber der Gemeinde nicht wie in einem Beschäftigungsverhältnis tätig geworden sei und daher gem. § 539 Abs. 1 und 2 RVO nicht unter der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Sie beantragt,
- das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 18. September 1968 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 24. Februar 1967 abzuweisen.
- hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie stüt...