Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Beitragsrecht. Beitragsforderungen: Masseverbindlichkeiten oder einfache Insolvenzforderungen. Zeitraum: vorläufige Insolvenz zwischen Verhängung des Verfügungsverbots und Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Geltung der Ausnahmeregelung des § 55 Abs 3 S 2 InsO zu § 55 Abs 2 InsO hinsichtlich des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gem § 208 Abs 1 SGB 3 auch für die gesetzliche Unfallversicherung
Orientierungssatz
Die vom BSG in seinen Entscheidungen vom 27.5.2008 (Az: B 2 U 21/07 R = UV-Recht Aktuell 2008, 1162 und Az: B 2 U 11/07 R = BSGE 100, 243 = SozR 4-2700 § 150 Nr 3) genannten Gründe für die haftungsrechtliche Gleichbehandlung der Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung nach § 150 SGB 7 mit den übrigen, ausdrücklich in § 28d SGB 4 genannten Beiträgen zur Sozialversicherung sind ohne weiteres auf die Regelung des § 55 Abs 3 S 2 InsO iVm § 208 SGB 3 übertragbar.
Normenkette
InsO § 55 Abs. 2, 3 S. 2, §§ 38, 60-61; SGB III a.F. §§ 187, 183 Abs. 1 S. 1, § 208 Abs. 1; SGB VII § 150; SGB IV § 28d
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
II. Die Feststellungsklage wird abgewiesen.
III. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit stehen Forderungen der Klägerin aus Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber der Beklagten als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der Auto XY. GmbH (XY.) für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenz zwischen Verhängung des Verfügungsverbotes und Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 22. März 2005 wurde gegen XY. ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen und die Beklagte zu 2) zur vorläufigen Insolvenzverwalterin bestellt. Deren Bestellung zur Insolvenzverwalterin sowie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten durch weiteren gerichtlichen Beschluss vom 15. Mai 2005.
Mit Schreiben an die Beklagte zu 1) vom 31. Mai 2005 wurde dieser von der Klägerin ein Sondervorschussbescheid über Vorausleistungen für das Umlagejahr 2005 über insgesamt 14.299 € sowie ein Vordruck zum Lohnnachweis für das Jahr 2005 übersandt. Mit weiterem Schreiben der Klägerin vom gleichen Tag wurden gegenüber der Beklagten zu 1) für den Zeitraum vom 22. März bis 14. Mai 2005 dem Grunde nach Masseforderungen geltend gemacht und eine Sicherheit in Höhe von 8844,53 € angemeldet.
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2005 wurden der Klägerin von der Beklagten zu 1) die Lohnnachweise für den Zeitraum vom 22. März bis zum 14. Mai 2005 übersandt und dabei mitgeteilt, dass die Beiträge für diesen Zeitraum von ihr nicht als Masseforderung anerkannt werden könnten, sondern gegebenenfalls zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssten.
Am 18. November 2005 wurde der Beklagten zu 1) von der Klägerin ein Beitragsbescheid gegenüber XY. für den Zeitraum vom 22. März bis zum 14. Mai 2005 über 6337,19 € übersandt und zugleich mitgeteilt, dass die mit Schreiben vom 31. Mai 2005 angemeldete Massesicherheit auf diesen Betrag berichtigt werde und der genannte Betrag als Masseforderung bis zum 15. Dezember zu überweisen sei.
Nachfolgend wurde die Beklagte zu 1) von der Klägerin mehrfach zur Zahlung aufgefordert (Schreiben vom 19. Januar 2006, 10. März 2006 und 29. März 2006). Von der Beklagten zu 1) wurde dies durch Schreiben vom 30. November 2005 und 19. April 2006 unter Hinweis auf die zuvor geäußerte Rechtsansicht abgelehnt.
Die Veröffentlichung der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Insolvenzordnung (InsO) erfolgte laut Mitteilung des Amtsgerichts Kassel am 26. Juni 2006.
Mit Klage vom 19. Juni 2006 wurden von der Klägerin zunächst vor dem Landgericht Kassel Forderungen in Höhe von 6337,19 € gegenüber der Beklagten zu 1) geltend gemacht. Mit Beschluss vom 14. März 2007 wurde das Verfahren vom Landgericht Kassel an das Sozialgericht Kassel verwiesen.
Das Sozialgericht Kassel hat die Klage mit Urteil vom 23. Juni 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die auch vom Landgericht so verstandene und allein die Zuständigkeit des Sozialgerichts begründende Leistungsklage der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) sei unzulässig. Es habe im Zeitpunkt der Erhebung der Klage bereits ein entsprechender Titel existiert, der hätte vollzogen, d. h. vollstreckt werden können. Die Beklagte sei eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie gehöre der vollziehenden Gewalt an und sei befugt, Verwaltungsakte zu erlassen. Es mangele regelmäßig an einem Rechtsschutzbedürfnis dafür, öffentlich-rechtliche Forderungen, die durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden könnten, mit einer Leistungsklage zu verfolgen. Vorliegend komme hinzu, dass in Form des Verwaltungsaktes vom 18. November 2005 bereits ein vollstreckbarer Titel existiert habe, welcher ähnlich wie ein Abgaben- und Steuerbescheid auch im Falle der Erhebung eine...